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Buster Keaton im Krieg

 ■ Von Siegfried Kracauer

Buster Keaton ist die Allegorie der Geistesabwesenheit. Wo sein Geist sich eigentlich aufhält, kann niemand ergründen. Vielleicht ist er überhaupt nicht vorhanden, vielleicht sucht er auch nur etwas, das ihm wesentlich ist. Die Welt enthält alles Mögliche; das von Buster Gesuchte enthält sie gerade nicht. Darum läßt er sie stehen, Buster bekümmert sich nicht um diese Welt. Die Dinge stoßen ihn, daß er stolpern muß, die Leute verwickeln ihn in ihre Geschäfte, die er nicht versteht. Das stört ihn, wie Fliegen stören, doch abgelenkt wird er nicht. Ohne Bewegung und unveränderten Gesichts geht er durch die Welt hindurch, sie ist zudringlich, er geht fort.

Es ist Krieg, amerikanischer Bürgerkrieg mit Nord- und Südarmeen, aus dem vorigen Jahrhundert. Der Krieg erscheint klein und putzig, lauter Fußvolkscharen, die in Lagerzelten hausen. Wir sind andere Dimensionen gewöhnt, Schützengräben, riesige Kanonen; der Fortschritt der Technik. Aber Kriege veralten schnell, und in einigen Jahrzehnten, wenn die Giftgase in allen Farben schillern, wird auch der Weltkrieg zum Puppenkrieg geworden sein. Es ziemt sich also nicht, auf jenen Krieg herabzusehen, er war für seine Zeit ein formidabler Krieg.

Daß ein Krieg Buster Keaton nichts angeht, bedarf kaum der Erwähnung. Für das Militär und die Bevölkerung mag er wichtig sein, aber Buster ist weder Militär noch Bevölkerung, er ist abwesend. Oder vielmehr: er ist Lokomotivführer, und seine Lokomotive heißt: „General“. Den „General“ muß man gesehen haben. Ein Fahrinstrument aus den ersten Zeiten der Maschinenbaukunst, mit einem organischen Riesenauswuchs vorne oben, der sich bei näherer Betrachtung als sinnreiche Kombination aus einem Schornstein und einer Petroleumlampe entpuppt. Gegen die Langsamkeit, mit der das Konglomerat dahinrast, ließe sich vom heutigen Standpunkt ein entschiedener Vorwurf erheben; aber dafür ist es ein anhängliches lebendiges Wesen, das zu Buster in einem besonderen Vertrauensverhältnis steht wie nur alte zerfetzte Automodelle zu den Neapolitanern. Es hat Ecken, Kanten und Stege, auf denen er spazieren gehen kann, es hat einen geräumigen Puffer, auf dem er sich in Mußestunden, wenn die Fahrt glatt vonstatten geht, der Lektüre eines Lieblingsromans widmen mag. Buster behandelt die Maschine wie einen klugen schrulligen Neufundländer, dessen Verkehr stets Abwechslung bringt.

Ruhig dampfte er zwischen den Nord- und Südarmeen hin und her, wäre nicht ein Mädchen, das in ihm Gefühle erweckte, die ihn erreichen. Dieses hübsche Kind verlangt, daß auch Buster Soldat werde und in Schlachten ziehe. Gut also, um des Mädchens willen mischt sich Buster in den Krieg. Man weist ihn aber zurück, weil er als Lokomotivführer notwendiger sei. Niemals hätte er sich träumen lassen, daß er auf dem „General“ gewissermaßen eine militärische Mission zu erfüllen habe. Er begreift es nicht, er ist traurig, daß er nicht in den Krieg soll, wegen des Mädchens.

Nun beginnt die entzückende Odyssee Busters und des „Generals“. Eine gegnerische Patrouille nämlich bemächtigt sich mitten im Feindgebiet der Lokomotive und des Mädchens und jagt davon, um die Strecke zu zerstören. Der in Gedankenlosigkeit versunkene Buster, der gerade abgestiegen war, läuft der Maschine nach. Kann er zu Fuß den „General“ einholen? Es ist sinnlos, lächerlich, unmöglich. Vorausgesetzt, daß man nicht geistesabwesend sei wie Buster. Ihm gelingt, was der äußersten Konzentration fehlschlüge: Die Dinge kommen von selber zu ihm. Buster gerät auf seiner Irrfahrt ohne Absicht ins feindliche Hauptquartier, belauscht, unter einem Tisch verkrochen und von Soldatenstiefeln zerquetscht, ohne Absicht den Kriegsrat der feindlichen Generale und rettet – das einzige Mal mit Absicht – sein gefangenes Mädchen. Ohne sich durch lästige Nebenumstände von dem geraden Weg abbringen zu lassen, entführt er den Feinden auch den „General“, besiegt auf der Heimfahrt aus Zerstreutheit die zahlreichen Hindernisse, die ein Krieg dem absichtslosen Handeln entgegensetzt, landet dampfend bei den Seinen und meldet den feindlichen Plan. Winzige Armeen entrollen sich, der Feind wird geschlagen. Unter Mithilfe Busters, der zwar nicht hilft, aber aus Versehen feindliche Soldaten aufspießt und den Hauptgeneral abliefert, der auf dem „General“ seinerzeit eingeschlummert war und von dem ganzen Krieg nichts gemerkt hatte. Es war auch ohne ihn nicht gegangen. Buster wird Leutnant, das Mädchen liegt ihm in den mechanisch geöffneten Armen.

Das sind die Kriegsabenteuer Busters und seines „Generals“. Die beiden wären viel lieber ungestört hin und her gefahren, aber das Mädchen hatte es nicht anders gewollt. Ob mit dem Gewinn des Mädchens die Geistesabwesenheit behoben ist, dürfte zweifelhaft sein. Jedenfalls eher als durch einen wichtigen Krieg. Aber am Ende ist es doch am richtigsten, auf dem Promenadendeck des „Generals“ durch die Welt zu fahren, die das Gesuchte nicht enthält.(1927)

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