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Archiv-Artikel

Bush landet auf dem Boden

Unter dem Druck wachsender Kritik an der zu spät einsetzenden Hilfe versucht Präsident George W. Bush, durch Präsenz vor Ort Punkte gutzumachen

VON BERND PICKERT

Die Hilferufe aus New Orleans, angeführt von Bürgermeister Ray Nagin, werden immer lauter. In einem Telefoninterview mit einer Radiostation aus Louisiana schimpfte Nagin in ungewöhnlicher Lautstärke und Ausdrucksweise, er habe all die Ankündigungen aus Washington satt, dass Hilfe unterwegs sei. „Präsident Bush ist hier rübergeflogen in der Airforce One mit Fernsehkameras und AP-Reportern und all dem Scheiß. Ich bin wirklich angepisst davon. Wo sind die Busfahrer aus dem ganzen Land, die wir hier brauchen, um die Menschen rauszubringen?“

Auch der Leiter der Heimatschutzbehörde in New Orleans, Terry Ebbert, kritisierte die Bundesbehörden: „Wir sind wie junge Küken, die den Schnabel weit aufsperren“, sagte er, „man muss wirklich nicht sehr schlau sein, um zu wissen, wo der Wurm hingehört.“ Die Bundesbehörde für Katastropheneinsätze (Fema) verhalte sich, als habe sie noch nie etwas von einem Hurrikan gehört. „Wir sind am fünften Tag nach dem Sturm, und adäquate Hilfe, um die Situation zu meistern, ist noch immer nicht eingetroffen“, ergänzte der Polizeichef von New Orleans. In Washington traten gestern Mitglieder des Zusammenschlusses schwarzer Kongressabgeordneter vor die Presse und beklagten sich bitter: Das US-Militär sei in der Lage, binnen weniger Stunden Notkrankenhäuser im Irak aufzubauen – aber es gelinge ihm nicht, den Menschen in Louisiana zu helfen. „Der Präsident will Gerechtigkeit und Freiheit in die ganze Welt tragen? Wir brauchen Freiheit und Gerechtigkeit hier in den USA. Jetzt!“, rief eine Abgeordnete aus Alabama aus.

Die New York Times attestierte George W. Bush in ihrem gestrigen Editorial, er habe am Donnerstag „eine der schlechtesten Reden seines Lebens“ gehalten. Statt den Betroffenen wirklich das Gefühl zu geben, dass die Nation ihnen beistehe, habe der Präsident mit dümmlichem Grinsen versichert, dass Hilfe unterwegs sei. Und im konservativen Wall Street Journal fragte die Kolumnistin Peggy Noonan: „Versteht er, dass das, was in unserem Golf passiert ist, genauso wichtig ist wie das, was in dem anderen Golf passiert?“

Bush, dessen Umfragewerte in den letzten Monaten in einem Rekordtief steckten, wollte gestern nun versuchen, durch Präsenz vor Ort Punkte wieder gutzumachen. Mit dem Hubschrauber wollte er die betroffenen Gebiete überfliegen, an mehreren Stellen landen und sich einen Eindruck von der Situation am Boden verschaffen.

Bush hat es bislang nicht geschafft, sich ins Zentrum der Hilfeleistungen zu stellen oder auch nur den Anschein zu erwecken, er leite tatsächlich die Anstrengungen der Bundesregierung. Er freue sich auf die Reise und darauf, den Menschen in den betroffene Gebieten seine Unterstützung ausdrücken zu können, sagte Bush in ungewöhnlich unkonzentrierter Art gestern früh, bevor er mit dem Leiter der Heimatschutzbehörde, Michael Chertoff, im Weißen Haus in den Hubschrauber stieg. „Ich danke allen Helfern für ihre Anstrengungen. Die Ergebnisse sind unakzeptabel“, sagte der Präsident, der selbst in dieser Situation noch imstande ist, die unendliche Liste unsinniger Bush-Äußerungen zu verlängern.

Bei seiner ersten Station in Alabama zeigte sich Bush dann hemdsärmelig, ließ das gesamte Briefing, in dem der Präsident das erfuhr, was alle Fernsehzuschauer seit fünf Tagen wissen, live übertragen, sagte, die Bundesregierung habe die Verantwortung, Leben zu retten – und forderte zu Spenden für Rotes Kreuz und Heilsarmee auf.