Bundesweiter Klimaaktionstag: Kleiner Kohlekampf
Der Klimaaktionstag zog weniger Menschen auf die Straßen als erwartet. Auch in Neurath und Berlin gab es nur verhaltenen Protest. Bei der Aktion "Licht aus" blieb derweil das Stromnetz stabil.
NEURATH/BERLIN taz Am Horizont senden zwei Kraftwerke wabernden Rauch in den Himmel, im Vordergrund ragen die Betontürme für ein neues Braunkohlekraftwerk bedrohlich in den Himmel, höher als der Kölner Dom sind sie. Einen symbolträchtigeren Ort als das nordrhein-westfälische Neurath hätten die Umweltverbände für den Protest gegen den Neubau von Kohlekraftwerken kaum finden können. Rund 3.000 Demonstranten, darunter viele Jugendliche, sind mit Bussen angereist, zur größten Kraftwerksbaustelle Europas. Aus der Sicht der Aktivisten steht das Vorhaben des Energiekonzerns RWE für die unglaubwürdigen Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung.
Angesichts der riesigen Baustelle wirkt die Kundgebung leicht verloren. Doch weil Neurath etwas abgelegen liegt, sind die Veranstalter mit der Beteiligung überaus zufrieden. Transparente von Grünen und den Umweltverbänden dominierten die Szene, doch auch einige Privatleute aus den nahen Ortschaften waren gekommen - ohne Fähnchen und Schilder, aber mit denselben Forderungen wie die organisierten Aktivisten. So wie Philipp Vrijaldenhoven, der in Neurath lebt. Der 26-Jährige wippt seinen zweijährigen Sohn im Kinderwagen, während er den Redebeiträgen zuhört. "Wir sollten uns angewöhnen, mehr gegen die Stromkonzerne zu protestieren", sagt er bestimmt.
Auch die 63-jährige Renate Flach aus dem nahen Stommeln ist zur Demonstration gekommen. Sie gehört ebenfalls keinem der bekannten Verbände an und setzt sich trotzdem für deren Forderungen ein. "Abgesehen von den globalen Problemen leiden wir ganz direkt unter den Kohle-Kraftwerken, etwa den Staubemissionen und Verschattungen durch Rauchschwaden im Sommer." Ihre Konsequenz lautet: "Ich werde bald auf Ökostrom umsteigen."
Die Organisatoren und Redner machen den Kohlekritikern Mut. Hartmut Graßl, atomkraftkritischer Meteorologe, fühlt sich von den verstreuten lokalen Protesten gegen die Kohlekraft, die derzeit laufen, an die Anti-AKW-Bewegung vor 20 Jahren erinnert. "Ab jetzt wird niemand mehr ungehindert ein Kohlekraftwerk bauen können", sagte er auf der Bühne. An anderen Orten in Deutschland wird zur selben Zeit ebenfalls fürs Klima demonstriert. Etwa in München, wo mehrere tausend Menschen gegen eine neue Startbahn für den Flughafen auf die Straße gehen.
Auch in Berlin sind rund 3.000 Menschen zum Klimaaktionstag gekommen. Doch anders als in Neurath ist das deutlich weniger, als von den Veranstaltern im Vorfeld erwartet worden war. Zwar ist der Demozug von der Museumsinsel zum Brandenburger Tor laut und jung, die Transparente und Aktionen bunt und originell. Doch angesichts des breiten Bündnisses von über 80 aufrufenden Organisationen haben viele mehr Resonanz erwartet. Etwa Frauke Quurck, die von Rostock nach Berlin gekommen ist und dort im Pinguinkostüm Flugblätter gegen das in ihrer Nachbarschaft geplante Kohlekraftwerk Lubmin verteilt. "Wenn bei so vielen Verbänden in der Klima-Allianz nicht jeder mindestens hundert Leute zusammenkriegt, ist das schon enttäuschend."
In größeren Gruppen waren lediglich der BUND, Greenpeace und die Grünen präsent, die großen Entwicklungsorganisationen hingegen kaum. Über die Gründe wird spekuliert: "Vielleicht denken die Leute, Deutschland tue schon genug beim Klimaschutz", sagt Jörg Kalinski von Oxfam. "Klimaschutz bedeutet auch, dass die Menschen ihren Lebensstil verändern müssen", vermutet Margot Käßmann, evangelische Landesbischöfin von Hannover. "Wenn alle gemeinsam ein bisschen für Klimaschutz sind, warum sollte man dann auf die Straße gehen?", fragt Chris Methmann von Attac rhetorisch. Er plädiert für einen stärkeren Konfrontationskurs mit Energiekonzernen und Autoindustrie.
Einen "ermutigenden Auftakt" sah hingegen der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer. "Es ist lange her, dass Leute für ökologische Themen überhaupt auf die Straße gegangen sind." Auch der neue BUND-Vorsitzende Hubert Weiger sagte: "Das ist erst der Anfang." Man müsse das abstrakte Thema Klimaschutz fokussieren - auf Standorte für neue Kohlekraftwerke, Großflughäfen und das Tempolimit im Straßenverkehr. Am Abend, als die Teilnehmer zum Abschluss eines Lampionzugs am Kanzleramt eine Resolution überreichten, beließ Weiger es allerdings bei einer weniger konfrontativen Forderung: Er wünschte sich einen baldigen Gesprächstermin mit der Angela Merkel.
Ohne die von einigen Energiekonzernen befürchteten Netzausfälle verlief am Abend die Aktion "Licht aus". Von 20 Uhr bis 20.05 Uhr erlosch in einigen Städten das Licht an bekannten Bauwerken - etwa dem Kölner Dom oder dem Brandenburger Tor. Wie viele Privathaushalte sich beteiligten, ist nicht bekannt. Nach Angaben des Stromkonzerns Vattenfall sind in dessen Gebiet rund 250 Megawatt Leistung abgeschaltet worden. Mitveranstalter Greenpeace sprach auf Grundlage der Angaben der Netzbetreiber von einem Leistungsabfall von bundesweit rund 1.000 Megawatt. Das entspricht der Leistung eines Blocks in einem großen Kohlekraftwerk oder von 20 Millionen 50-Watt-Glühbirnen.
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