Bundeswehrrekrut im Interview: "Wir sind keine Mörder"
Sascha Pyritz (21) hat gerade seinen neunmonatigen Grundwehrdienst angetreten. Montag nimmt er am Gelöbnis vor dem Reichstag teil.
taz: Herr Pyritz, warum treten Sie den neunmonatigen Grundwehrdienst an?
Sascha Pyritz: Über die Bundeswehr wird viel Gutes, aber auch viel Schlechtes behauptet. Ich will mir ein eigenes Bild machen.
Der 21-jährige Abiturient kommt aus Marzahn. Am Montag wird der Rekrut beim Gelöbnis vor dem Reichstag vereidigt.
Pyritz leistet beim Wachbataillon des Bundesverteidigungsministeriums seinen neunmonatigen Grundwehrdienst ab. Er ist seit drei Wochen in der Julius-Leber-Kaserne im Wedding.
Haben Sie mal überlegt, zu verweigern?
Eigentlich nicht. Verweigern würde Sozialdienst heißen; Leute pflegen und rumkutschieren. Das liegt mir nicht. Ich brauche die Herausforderung und den körperlichen Ansporn. Da ist die Bundeswehr das Richtige. Beim Wachbataillon muss man immer voll dasein.
Was für eine Funktion hat das Wachbataillon?
Es ist das Protokollbataillon der Bundesregierung. In Friedenszeiten hat es rein repräsentative Aufgaben - zum Beispiel bei Staatsbesuchen, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, kommt. Unser Auftritt soll ihm ein Bild von Deutschland vermitteln, das sagt: Es ist ordentlich, es ist sauber, es ist stark.
Sie sind Marzahn aufgewachsen. Wo würden Sie sich politisch verorten?
Nicht links und nicht rechts. Ich bin politisch neutral, aber immer in dem Sinne, das Volk zu unterstützen.
Wie meinen Sie das?
Das fängt bei der Nächstenliebe an. Mitbekommen, was mit den Nachbarn ist. Wenn jemand auf der Straße stolpert, ihm aufhelfen. Ganz einfache Sachen. Und sich auch politisch auf dem Laufenden halten.
Sie haben Abitur. Was sind Ihre berufliche Pläne?
Ich würde gern eine Pilotenausbildung machen.
Bei der Bundeswehr?
Sofern ich dort bleibe, ja. Ansonsten werde ich es in der Zivilluftfahrt versuchen.
Haben Sie sich auch deshalb für den Wehrdienst entschieden?
Nein. Wenn ich einen Job will und mich anstrenge, kriege ich ihn auch. Dafür muss ich nicht extra zur Bundeswehr gehen.
Sie sind seit drei Wochen in der Kaserne. Mit wie vielen Leute sind Sie auf einer Stube?
Wir sind zu sechst. Man hat seinen Spaß, man unterstützt sich gegenseitig. Das habe ich in meinem bisherigen Leben noch nicht erlebt, dass man sich in diesem Grade hilft.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir haben gestern nach Dienstschluss eine geniale Arbeitsteilung gemacht. Wir mussten noch unsere Sachen bügeln und haben gesagt: zwei gehen Getränke holen, zwei bügeln Hosen. Einer bügelt die Hemden, und der andere putzt die Schuhe. Abends war alles picobello.
Sie haben das Bier geholt?
Ein typisches Vorurteil über die Bundeswehr. Ich sage Getränke, und Sie denken Bier. Außerdem habe ich Hosen gebügelt.
Müssen Sie auch durch Schlamm robben und Gewaltmärsche mit Gepäck machen?
Durch Schlamm robben wäre nicht das Problem. Beim Wachbataillon geht es darum, jede Bewegung auf die der Kameraden abzustimmen. Es geht um Perfektion. Das erfordert große Konzentration. Das ist sehr anstrengend, aber ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass unsere Ausbilder Maschinen sind. Sie zeigen immer wieder menschliche Züge.
Aus Afghanistan kommen Särge mit gefallenen Bundeswehrsoldaten zurück. Berühren Sie diese Bilder?
Die Menschen sollten nicht immer nur schauen, was im Ausland passiert. In Deutschland sterben bei Unfällen viel mehr Menschen, als deutsche Soldaten in Afghanistan.
Wollen Sie damit sagen, die Lage in Afghanistan wird dramatisiert?
Dazu weiß ich zu wenig von dort. Was ich sagen möchte ist: Soldat zu sein ist nun mal mit einem Risiko verbunden. Das muss man wissen, wenn man zur Bundeswehr geht. Auch einem Polizisten oder Feuerwehrmann kann was passieren.
Könnten Sie sich vorstellen, als Soldat nach Afghanistan zu gehen?
Ich bin kein Reisemensch. Ein Auslandseinsatz wäre nichts für mich. In Deutschland würde ich alles verteidigen.
Ist Ihnen bekannt, dass die Gelöbnisfeier am 20. Juli von erheblichen Protesten begleitet wird?
Ich frage mich, wogegen die Leute protestieren. Der 20. Juli ist ja nicht nur der Tag des Gelöbnisses der Rekruten. Es ist auch der Tag der Ehrung des deutschen Widerstands.
Im Aufruf der Gelöbnisgegner heißt es, Militär sei der Inbegriff für Krieg, Mord und Zerstörung. Auch auf bewaffnete Inlandseinsätze gegen Demonstranten und Streikende bereite es sich vor.
Den Aufruf kenne ich. Und dann gibt es noch einen Aufruf, dass man Soldaten attackieren soll. Wir sind alle sehr enttäuscht darüber. Wir sind keine Mörder. Ich habe in meinem Leben noch nie jemanden etwas zu Leide getan.
Die Bundeswehr ist also ein zutiefest menschlicher Haufen, der niemandem wehtut?
Aufgabe der Bundeswehr ist es, unsere Familie, Freunde und Nachbarn zu schützen.
Was bedeutet die Vereidigungszeremonie für Sie persönlich?
Es ist eine Ehre, am Tag des Widerstands mit meinen Kameraden vor dem Reichstag zu stehen, und meine Familie schaut zu und sagt: Wir sind stolz auf ihn.
"Soldat zu sein ist mit einem Risiko verbunden. Das muss man wissen, wenn man zur Bundeswehr geht"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt