Bundeswehr-Prozess: "Das einfache Durchspielen reicht nicht"
Die Soldaten sollten nicht bei allem mitmachen, meint Wolfgang Bonß von der Bundeswehr-Universität.
taz: Herr Bonß, welche Erklärung haben Sie für die Geschehnisse bei der Rekrutenausbildung in Coesfeld?
Wolfgang Bonß: Die Vorfälle haben gezeigt, dass militärisches Handeln offensichtlich nicht von irgendwelchen Menschenrechtskonventionen gesteuert wird. Es entstehen Ausnahmesituationen, die dann zu Reaktionsformen führen, die im Nachhinein selbst für die Beteiligten unerklärlich sind.
Die Angeklagte erzählten stolz, dass die Coesfelder Kompanie "für eine fordernde und erlebnisorientierte Ausbildung" bekannt gewesen sei. Die fingierte Geiselnahme sei als "Ausbildungshöhepunkt" gedacht gewesen.
Das kann durchaus sein, macht es aber nicht besser.
Ist Coesfeld ein Einzelfall?
Ich denke nicht, dass es sich um einen besonders herausragenden Einzelfall handelt. Die Bundeswehrausbildung musste in den letzten 15 Jahren erheblich umgestellt werden. Anfang der 90er-Jahre hatten wir noch eine reine Landesverteidigungsarmee. Für andere Situationen war sie nicht ausgebildet und sollte es auch gar nicht sein. Das hat sich gravierend geändert. Und dann fängt man schnell mit solchen Übungen wie jenen von Coesfeld an, die von außen etwas seltsam anmuten.
Was müsste passieren, damit sich ein derartiger Fall nicht wiederholt?
Es gibt zahlreiche sozialpsychologische Forschungen, die zeigen, zu welchen fatalen Reaktionen ganz normale Menschen neigen können, wenn sie in bestimmte Gruppen- oder Ausnahmesituationen kommen. Dem kann nur durch Aufklärung und Sensibilisierung begegnet werden. Die Betroffenen müssen dafür sensibilisiert werden, dass sie nicht einfach autoritätshörig mitmachen. Letztlich ist ein reflektierender Umgang mit solchen während eines Kriegseinsatzes möglichen Situationen notwendig. Das bislang praktizierte einfa- che Durchspielen reicht nicht.
Welche Reaktionen haben Sie innerhalb der Bundeswehr auf den Fall festgestellt?
Viele der studierenden Offiziere, mit denen ich es zu tun habe, zeigten sich sehr betroffen. Einige meinten, es handele sich um einen Ausnahmefall, andere sagten, wir müssten uns stärker an die Ideale der "Inneren Führung" erinnern und diese besser in die Tat umsetzen.
INTERVIEW: PASCAL BEUCKER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!