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Bundestagswahl in BerlinLinke hofft auf Fall der Mauer

Im Berliner Osten Volkspartei, im Westen Splittergruppe: Die Linkspartei führt zwei ungleiche Wahlkämpfe in der Stadt. Warum die Partei bis heute nicht so richtig in den Westbezirken angekommen ist.

Alltag in Berlin: Der Kommunist steht auf der Ostsseite des Brandenburger Tors, auch wenn es nur ein Schauspieler ist Bild: dpa

Es läuft nicht so gut. Felix Lederle erntet an diesem Nachmittag viel abweisendes Kopfschütteln, sobald er seine Linkspartei-Broschüren den Passanten entgegenstreckt. Zwei rote Sonnenschirme und einen weißen Aufsteller haben der 34-jährige Direktkandidat und seine vier Mitstreiter vorm Clou, Reinickendorfs Shoppingcenter am "Kutschi", aufgebaut. Aber das Interesse ist mager. "Geht doch zurück in den Osten, wenn ihr die DDR wieder wollt", tattert eine mit Einkauftüten bepackte Endsechzigerin. "Alte Kommunisten. Eher hacke ich mir die Hand ab, als die zu wählen."

Es sei schon schwierig, sagt Lederle - schwarzer Anzug, pinkes Hemd, in den Nacken gekämmte Haare - über seinen Wahlkampf. Das mit der DDR-Partei bekomme er im Wahlkreis regelmäßig zu hören. Und dass die Linke linksextrem, wirtschafts- und kirchenfeindlich sei. "Alles kompletter Unsinn", sagt Lederle. Natürlich sei die DDR undemokratisch gewesen. Die Linke aber sei eine junge Bürgerrechtspartei, Wirtschaftssenator Harald Wolf ein erstklassiger Ökonom und er selbst gläubiger Protestant und gebürtiger Baden-Württemberger. "Zählt man das den Leuten auf, werden sie doch stutzig und legen die Scheuklappen ab." Inzwischen, so Lederle, sei das Feedback in Reinickendorf gar nicht mehr so schlecht.

Es ist ein ungleicher Wahlkampf, den die Linkspartei in der Hauptstadt führt. Im Osten ist sie fest verankerte Volkspartei, kämpft sie im Westen als Außenseiter. 29,5 Prozent holte die Partei zur Bundestagswahl 2005 in den Ostwahlkreisen, magere 7,2 Prozent waren es im Westen. Zur jüngsten Europawahl lief es nicht besser: 30,3 Prozent Ost, 5,6 Prozent West. Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick: Hier holt die Linke regelmäßig Direktmandate und Bürgermeisterposten. In Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf sitzt sie nicht mal in der Bezirksverordnetenversammlung. Und das als Mitregierungspartei im Senat seit 2001.

Entsprechend bescheiden sind die Wünsche des Linken-Landeschefs Klaus Lederer für den Berliner Westen zur Bundestagswahl. "Flächendeckend über fünf Prozent, in einzelnen Stadtteilen zweistellig." Natürlich wäre es schöner, wenn seine Partei dort mehr Stimmen einfahren würde, so Lederer. "Aber das ist wohl eine Generationenfrage, bis sich das ändert." Es seien die "Frontstadt-Erfahrungen", die im Westen nachhaltig und mit "abstrakten Vorbehalten" gegen die Linke fortwirkten. Und die schwachen Parteistrukturen dort, die eine Verankerung in den lokalen Vereinen und Institutionen erschwerten. Zum Vergleich: Knapp 2.000 Mitglieder zählt die Linke in Lichtenberg, in Reinickendorf sind es 70. "Aber wir bauen unsere Strukturen im Westen aus, der Trend ist positiv", betont Lederer.

Olaf Michael Ostertag, Bezirkschef und Spitzenkandidat der Linken in Steglitz-Zehlendorf, kann ein Lied von den Mühen singen. 5,2 Prozent holte Ostertags Bezirksverband zur Bundestagswahl 2005. 3,8 Prozent waren es zur Europawahl - schlechter lief es nirgends in der Stadt. "Wir sind hier permanent noch die SED-Partei", klagt Ostertag. Beim Pro-Reli-Wahlkampf im Frühjahr habe die bloße Anwesenheit von Linke-Infoständen "heftige Reaktionen" provoziert. Es gehöre bei vielen im Bezirk offenbar immer noch zur Selbstvergewisserung die Linke abzulehnen, so der 40-jährige Schauspieler.

Auch Torsten Hesse, Linken-Vorsitzender in Charlottenburg-Wilmersdorf, kennt die "vielen bösen Sprüche" gegen seine Partei. "Aber", sagt der 34-jährige, "da hat sich in den vergangenen Jahren viel getan, wir sind nicht mehr der ewige Paria." Die Fusion mit der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) habe der Partei einen Schub gegeben, die Arbeit der drei Linken-Abgeordneten in der BVV werde honoriert. "Die Leute merken, dass wir keine Protestpartei sind, sondern ernsthafte, gesamtgesellschaftliche Politik machen."

Gero Neugebauer, FU-Politikwissenschaftler und Parteienexperte, sieht die Linke trotzdem als "Regionalpartei des Berliner Ostens" - mit kleinen Inseln etwa in Neukölln oder Kreuzberg. Das Westberliner Bürgertum verbinde die Linke weiter mit deren DDR-Vergangenheit. Und das linke Wählerpotential werde in den Westbezirken durch die Grünen abgedeckt oder durch ein WASG-Spektrum, das politisch und kulturell wenig mit der Linken gemein habe. Das habe sich beim Fusions-Hickhack des radikalen Berliner WASG-Verbands mit der hiesigen Realo-Linken vor drei Jahren gezeigt. In der Taz: Der Zusammenschluss verlief derart unversöhnlich, dass die WASG eigenständig zur Abgeordnetenhauswahl 2006 antrat.

Letzlich, so Neugebauer, fehle der Linken in den Westbezirken aber auch ein inhaltliches Alleinstellungsmerkmal. Und ihr einseitiger Einsatz für gesellschaftliche Absteiger sei in vielen Westbezirken schlicht nicht so relevant. "Dort aber, wo soziale Abstiegsängste steigen, wie in Neukölln, bekommt auch die Linke mehr Zuspruch."

Dort wahlkämpft zur Zeit Ruben Lehnert als Spitzenkandidat. Der 30-jährige Politikwissenschaftler ist wie Lederle und Ostertag einer aus dem Partei-Nachwuchs - und aus dem Westen der Republik. Lehnert hat sich für kommenden Sonntag viel vorgenommen: Erstmalig wolle er in Neukölln ein zweistelliges Wahlergebnis einfahren. Dafür verteilt er mit Parteikollegen dreimal in der Woche Tee und Kaffee vor dem Neuköllner Jobcenter. Fährt werktags mit einem Lautsprecherwagen durch die Kieze. Veranstaltet Hartz IV-Beratungen und Erwerbslosenfrühstücke. "Wir wollen gezielt diejenigen ansprechen, die sich von den etablierten Parteien nicht vertreten fühlen."

Erfolg hat er damit weniger im bürgerlichen, betuchteren Süden, sondern vor allem im Norden Neuköllns, wo Arbeitslosigkeit und Armut hoch sind. Heute ist die Neuköllner Linke mit 250 Mitgliedern die größte im Berliner Westen. 52 Neueintritte habe es in diesem Jahr gegeben, so Lehnert. "Unsere Stärke ist die Leidenschaft, wir wollen eine kämpferische Partei des Alltags sein."

Die Linke als Kämpferin der Entrechteten und Deprivierten - das ist die Rolle, die sie im Westen spielen könnte. Andererseits müsste es durch ihr nun schon achtjähriges Mitregieren im Senat auch den Skeptikern im Westen der Stadt dämmern, dass diese Partei berlinweit nicht mehr wegzudenken ist. Und der gerade von der Linken im Senat an den Tag gelegte Pragmatismus beweist, allen Unkenrufen zum Trotz, dass sie durchaus verantwortungsvoll walten und haushalten kann. Es ist dieser Weg von unten, über das stete Mitwirken auch in den BVVs, der die Linke auf lange Sicht in der ganzen Stadt etablieren wird. FU-Experte Neugebauer warnt dennoch vor einer Nischenpolitik der Linken für Hartz-IV-Empfänger. "Wo bleibt ihr Angebot für die Aufsteiger?"

Mancherorts wird es probiert, in Steglitz-Zehlendorf etwa. Im Wahlkampf stand Kandidat Ostertag nicht ein einziges Mal vor einem Jobcenter - dafür aber vor Einkaufscentern wie dem "Schloss". "Unser Klientel hier sind die aufgeklärte Mittelschicht und Akademiker", sagt Ostertag. Neugebauer hält dieses Fischen nach neuen Zielgruppen bisher für erfolglos. Bis heute sei es der Linke nicht einmal gelungen, die jungen Kreativen dieser Stadt für sich zu gewinnen - trotz ihres früheren Kultursenators Thomas Flierl oder heutigen Wirtschaftssenators Harald Wolf.

Am Wahlstand von Felix Lederle macht eine Jugendliche mit Kopftuch Halt. Der Kandidat verwickelt sie in ein langes Gespräch, drückt ihr packenweise Flyer in die Hand. Neulich sei er am Georg-Schlesinger-Oberstufenzentrum im Bezirk gewesen, erzählt Lederle. Bei einer Probeabstimmung habe die Linke von den Schülern 22 Prozent erhalten, mehr als alle anderen. "Ich glaube, die Linke wird ihre Chance hier noch bekommen."

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