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Bundestagsdebatte zur FlüchtlingspolitikMerkel wirbt für „Kontingente“

Die Generaldebatte des Bundestages sollte sich um den Haushalt drehen. Stattdessen gab es Koalitionsstreit über die Flüchtlingspolitik.

Hauptsache, die Zahl wird reduziert: Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze. Foto: dpa

Berlin taz | Das Halsbonbon gab es erst nach der Rede – davor musste Angela Merkel vierzig Minuten lang mit kratziger Stimme zum Haushaltsentwurf 2016 sprechen. Traditionell ist die Generaldebatte im Bundestag, bei der es um den Kanzlerinnenetat und den Etat des Bundeskanzleramts geht, der Tag der Abrechnung. Opposition gegen Regierung – Regierungsfraktionen gegen die Opposition. Entsprechend kämpferische Reden hielten Dietmar Bartsch und Anton Hofreiter von der Linken und den Grünen. Diesmal aber gab es noch etwas Weiteres: nämlich Streit innerhalb der Großen Koalition.

Hintergrund ist die Weigerung der SPD, dem Asylpaket II zuzustimmen. Eigentlich hatten die drei Parteichefs sich Anfang November auf die Einrichtung sogenannter Registrierzentren geeinigt. Dort soll im Eilverfahren über die Anträge von Flüchtlingen mit geringer Bleibechance entschieden werden. Doch in der Ressortabstimmung forderten die Sozialdemokraten, in den Zentren geltende EU-Richtlinien umzusetzen. Das würde etwa besseren Gesundheitsschutz und eine zusätzliche Auskunftspflicht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bedeuten. Das aber lehnt die Union ab. Ihr geht es jetzt vor allem um eine schnelle Begrenzung des Flüchtlingszuzugs. Fraktionschef Volker Kauder mahnte zur Einigung.

In ihrer eindringlichen Rede an die Abgeordneten warb die Kanzlerin um Geduld bei der Lösung der anstehenden Aufgaben. „Wir haben die Flüchtlingsproblematik noch nicht mal ein halbes Jahr“, sagte Merkel, „aber wir können sagen: Wir haben uns gekümmert.“ Sie sprach von „kleinen Erfolgen“ auch innerhalb der Europäischen Union. Für Sonntag kündigte sie einen Flüchtlingsgipfel an, zu dem EU-Ratspräsident Donald Tusk eingeladen habe. Dort werde auch mit der Türkei gesprochen.

Deutschland müsse dazu beitragen, dass in der Ägäis die Schlepperkriminalität bekämpft werde, rechtfertigte Merkel die Verhandlungen mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan. Ja, wenn die Türkei Flüchtlinge aufnehme, koste das Geld, so die Kanzlerin. Sie plädierte für „legale Kontingente“ für Flüchtlinge, die „europaweit zu vereinbaren“ seien. Ziel müsse sein, „die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge zu reduzieren“.

EU soll Kontrolle über Außengrenzen zurückgewinnen

Erneut sprach sich Merkel gegen eine Obergrenze für Flüchtlinge aus. An die Adresse der SPD erklärte sie, man werde sich „in den nächsten Tagen“ auf ein Asylpaket II einigen. Deren Fraktionschef Thomas Oppermann fordert in seiner Rede, eine „faire Verteilung“ unter den 28 EU-Mitgliedsländern. Mit einer Kontingentlösung könne die EU auch die Kontrolle über ihre Außengrenzen zurückgewinnen. Zu den Forderungen nach einer Obergrenze sagte Oppermann, diese Debatte „führt nicht dazu, dass ein einziger Flüchtling weniger nach Europa kommt“.

Zum Ende ihrer Rede verbreitete die Regierungschefin Optimismus. „Wir können die Probleme bewältigen, ich bin davon überzeugt“, sagte Merkel. „Oder anders herum: Wir schaffen das.“ Das allerdings werde vieler Anstrengungen bedürfen. Vor allem aber „eines hohen Maßes an neuem Denken“.

Gerade davon war jedoch in der Generaldebatte nichts zu spüren.

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3 Kommentare

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  • Über Europas kurzsichtige Flüchtlingspolitik: Wie der Kontinent Fluchtursachen mitverursacht, warum europäische Gegenmaßnahmen zu kurz greifen und wie sich afrikanische Politiker zur europäischen Politik äußern

    https://zebralogs.wordpress.com/2015/11/25/der-fluchtlingsgipfel-von-malta-uber-europas-kurzsichtige-fluchtlingspolitik/

  • Wem wollen denn Oppermann und Merkel weiterhin Sand in die Augen streuen?

     

    Eine Vereinbarung über eine „faire Verteilung in der EU“ ist ferner denn je. Selbst in einem „relativ befreundeten“ Staat wie Frankreich sind sich nahezu alle Parteien darin einig, dass die Verantwortung für das enorme Ansteigen der Flüchtlingszahlen primär in den Entscheidungen der deutschen Regierung liegt. Da diese Entscheidungen fast gänzlich ohne Abstimmung mit den EU-Partnern erfolgte, ist auch die Stimmungslage in der französischen Bevölkerung ziemlich eindeutig: „Die deutsche Regierung hat aus einem Problem ein gewaltiges Problem gemacht und möchte die Folgen (wieder einmal) auf andere abladen“ kann man allenthalben vernehmen. Die Regierung, fast die komplette Opposition und die Bevölkerung ist nicht mehr bereit, dieses Vorgehen der deutschen Regierung hinzunehmen. Die Folgen sind bereits jetzt deutlich erkennbar: Frankreich wird in den Jahren 2016 und 2017 maximal eine Zahl von Flüchtlingen im niedrigen fünfstelligen Bereich aufnehmen.

     

    In allen anderen größeren EU-Partnerstaaten sieht die Ausgangslage für Verhandlungen über Kontingente nicht besser aus; sogar aus den Niederlanden und Schweden kommen deutliche Signale. Die deutsche Regierung hat entschieden, diesen Weg zu gehen und darauf gesetzt, dass man die anderen Staaten letztlich wieder einmal „zu ihrem Glück zwingen könnte“. Jetzt steht man völlig alleine da und muss das irgendwann auch der eigenen Bevölkerung „verkaufen“.

     

    Es ist natürlich nicht sicher, ob eine andere Vorgehensweise, z. B. mit einer rechtzeitigen Einbeziehung der Partnerstaaten, bessere Chancen auf eine Einigung geboten hätte. Dennoch steht zu vermuten, dass der jetzige Ruf nach Solidarität glaubhafter wäre, wenn man sich von deutscher Seite seit geraumer Zeit nicht wie die Axt im Walde benommen hätte.

  • Ein hohes Maß an neuem Denken wäre etwa: keine Erhöhung des Verteidigungshaushalt, sondern stattdessen diese Mittel für Flüchtlinge vorzusehen.