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Bundestag zu PräimplantationsdiagnostikEin ungewöhnlicher Tag

Die Präimplantationsdiagnostik spaltet das Parlament, und die Gräben verlaufen quer durch alle Fraktionen - doch die Debatte war voller Respekt und frei von Polemik.

Fast ein glaubenskrieg: Ob und unter welchen Bedingungen dürfen Embryonen aus dem Reagenzglas vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf mögliche Gendefekte untersucht werden? Bild: dapd

BERLIN taz | Es war schon viel die Rede gewesen von menschlicher Würde, von Werten und von Widersprüchen, als Ilja Seifert von der Fraktion der Linken am Donnerstagmorgen an das Rednerpult des Bundestags geschoben wurde und dort eine der bewegendsten Reden dieses ungewöhnlichen Tages hielt, an dem die Parlamentarier Fraktionsgrenzen und Polemik vergaßen und um Haltung rangen.

Haltung in der Frage, ob und unter welchen Bedingungen Embryonen aus dem Reagenzglas vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf mögliche Gendefekte untersucht werden dürfen. "Ob wir es wollen oder nicht", hob Seifert an, "diese Debatte stellt die Frage nach dem Wert oder dem Unwert menschlichen Lebens. Suchen wir also einen Erträglichkeitskoeffizienten? Rechnen wir Leid gegeneinander auf?"

An dieser Stelle verstummten selbst notorische Quatscher im Saal. "Ich", fuhr Seifert fort, "kenne Dutzende von Frauen und Männern, die denken: Hätte es die Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik schon vor meiner Geburt gegeben, dann gäbe es mich nicht." Ein Parlament dürfe Menschen aber nicht "Angst machen, per Gesetz abgewertet zu werden". Weswegen die PID verboten gehöre.

Die anderen Redner, vor allem die, die die PID in Ausnahmefällen erlauben wollen, hatten es nach dieser Wortgewalt zunächst schwer, ihre Argumente zu formulieren. Es sollte eben nicht der Eindruck entstehen, mit der PID gehe auch die Gefahr einer wachsenden Diskriminierung behinderter Menschen einher. Der SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier versuchte es trotzdem. "Auch ich habe gerungen mit mir selbst", bekannte Steinmeier, "aber es geht hier um äußerste Seelennot, wir reden hier über Menschen in verzweifelter Lage": solche Menschen, die bereits Fehl- oder Totgeburten erlitten oder schwerstbehinderte Kinder geboren hätten und sich nun nichts sehnlicher wünschten als ein gesundes Kind. "Gerade diesen Menschen sollten wir glauben, dass es ihnen um Leben geht."

Seine SPD-Fraktionskollegin Carola Reimann ergänzte: "Die Frage steht im Raum, mit welchem Recht wir medizinische Hilfe verweigern und unter Strafe verbieten wollen." Die PID sei keine Garantie eines gesunden Kindes, sondern verringere bloß die Wahrscheinlichkeit schwerster Behinderungen. "Es ist ein Gebot der Menschenwürde, dieses verfügbare Wissen den Frauen zur Verfügung zu stellen", mahnte der CDU-Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze und holte dann ganz weit aus: "Das Verbot von Wissen ist oft versucht worden in der Geschichte der Menschheit. Es ist immer schiefgegangen."

Vergleich mit Dänemark

Die Grünen-Abgeordnete Krista Sager versuchte es lieber mit Sachargumenten und Statistik und zog einen Vergleich zwischen Dänemark, wo die PID seit Jahren praktiziert wird, und Deutschland: "Der befürchtete Werteverlust ist nicht eingetreten. Die Teilhabechancen von Behinderten sind in Dänemark nicht anders als in Deutschland."

Doch in der Debatte über die Regelung eines der letzten Grenzbereiche menschlichen Lebens verhallten solche Hinweise. Auch das Argument der CDU-Abgeordneten Ursula Heinen, die anführte, dass es doch ein "Wertungswiderspruch" sei, dass bei einem Verbot der PID einem Embryo aus dem Reagenzglas mehr Rechte zugestanden würden als einem Fötus im Mutterleib oder einer Frau - da nach deutschem Recht bei schwerwiegender Erkrankung des Kindes ein Spätabbruch bis kurz vor der Geburt erlaubt ist -, wischten die PID-Gegner beiseite.

Manchmal mutete die Debatte an wie ein Glaubenskrieg, beispielsweise als der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer sich gegen "vorgeburtliche Qualitätskontrolle" verwahrte und die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) konterte, sie erlebe die Diskussion als "von metaphysischen, religiösen Überlegungen durchsetzt", was sich mit verfassungsrechtlichen Kriterien, um die es bei der PID auch gehe, jedoch schwer vertrage.

Wie sehr die PID spaltet, zeigte sich auch am Verlauf der Gräben - quer durch alle Fraktionen. Mehrheiten sind schwer auszumachen. Da saß bei der CDU der Christ Peter Hintze, ein Befürworter, unweit seiner Kanzlerin, einer Physikerin, die die PID ablehnt. Da applaudierten Anti-PID-Fundis der Linken dem Liberalen Pascal Kober, der forderte: "Der Staat definiert nicht den Menschen, sondern der Mensch definiert den Staat." Und der ehemalige SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, bekannt für markige Sprüche, erzählte in einer persönlichen Rede, wie das Baby eines befreundeten Paares an einer unheilbaren Muskelerkrankung gestorben sei - Leid, das sich dank der PID möglicherweise nicht wiederholen müsse. Woraufhin seine Parteikollegin und Exgesundheitsministerin Ulla Schmidt einwandte: "Für mich ist damit das Prinzip unterbrochen, dass jedes Leben sich um seiner selbst entwickeln darf."

Um kurz nach 12 Uhr wurde die PID bis zur endgültigen Abstimmung im Sommer in die Ausschüsse verwiesen. Es wurde der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen: Schutz vor Straßen- und Schienenlärm.

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8 Kommentare

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  • F
    FAXENDICKE

    Sinnlose Diskussion, letztlich wird sich durchsetzen was möglich ist und Kohle bringt. Der Weg zum Designerbaby ist längst gebahnt, in USA schon möglich bald auch in Europa, egal was diese Heuchler im Parlament daherfaseln. "Leben" welches aus ein paar wenigen Zellen besteht wollen sie vollmundig und mit höchsten ethisch/moralischen Ansprüchen schützen, derweil sie zulassen, dass fast jedes dritte Kind in Armut lebt und aufwachsen muß.

  • S
    Steffen

    Wenn wir Leben bereits im Mutterleib selektieren und gegebenfalls abtöten können dann stellt sich mir die Frage wo das enden soll ?

     

    Selektion ist bei uns Menschen immer etwas Schlechtes und Negatives.

     

    Es gibt keine positive Selektion in der Menschheit da Selektion immer Ausgrenzung und im schlimmsten Fall Tod bedeutet hat für die Selektierten.

     

    Im Grunde handelt es sich hier um Euthanasie bei der man nicht erst wartet bis das Opfer entwickelt ist, wie durch die Greuel unter dem Naziregime bekannt, .... sondern die Euthanasie bereits im Mutterleib durchführt.

     

    Die Faktoren nach der der Wert eines Lebens festgelegt wird sind auch die Gleichen ....

     

    Wurde früher nach Gesichtspunkten der "Gesundheit des Volkskörpers" etc. entschieden dann heute wohl mehr nach ökonomischen Gründen oder nach Lust und Laune der Eltern auf ein krankes und stark hilfebedürftiges und zeit-/kostenintesives Kind.

     

    Dabei regelt die Natur vieles selbst, .... stark geschädigte/nicht lebensfähige Kinder/Organismen werden nicht alt und gehen den traurigen aber natürlichen Weg von Leben und Tod ohne das sich jemand schuldig macht.

     

    Und was sich sein Leben von der Natur abtrotzt, trotz Behinderungen, hat sich sein Leben redlich verdient und wir dürfen es diesem Menschen nicht nehmen aus rein subjektiven Empfindungen und teils egoistischen Entscheidungen heraus.

     

    Ob ein Leben als Behinderter gut oder schlecht ist entscheidet alleine der Betroffene und nicht wir Gesunden aus unserer Sicht heraus.

     

    Ich bin gegen PID als Linker aber für die Sterbehilfe für behinderte Menschen die bei klarem Verstand aber nicht in der Lage sind selbst ihrem Leben ein Ende zu bereiten wenn der Leidensdruck unerträglich ist. Dann sollte solch Betroffener wie das Recht auf Leben auch das Recht auf seinen Tod haben.

     

    Denn wir haben nicht das Recht über den Tod eines Lebens zu entscheiden und wir dürfen auch Niemanden zum Leben verurteilen wenn es für den Betroffenen eine Strafe darstellt.

     

     

    Zur Gesellschaft .... gab da einen schönen Satz den ich irgendwo gelesen habe .... eine Gesellschaft ist soviel wert wie sie mit ihren Schwächsten umgeht .... daran muss sich eine Gesellschaft messen lassen und an nichts weiter.

     

    Und zu dem CDU-Mann mit seiner "Technik- und Fortschrittsweisheit" .... eine gute und kluge Zivilisation zeichnet sich dadurch aus das sie auf technischen Fortschritt verzichtet wenn sie voraussehen kann das der Fortschritt zur Gefahr wird.

     

    Das heisst wären wir so klug und toll dann hätte man die Pläne für die Atombombe entwickelt aber die Bombe selbst nie gebaut.

     

    Wir haben sie entwickelt, wir haben sie gebaut, wir haben sie gegen Menschen eingesetzt, wir haben Menschen damit getötet und bedrohen noch heute die ganze Welt damit.

     

    Eine kluge/gute Zivilisation hätte das schon im Keim erstickt.

     

    Und auch hier muss es heissen .... wir können zwar "PID" aber wir setzen diese nicht ein um unsere Menschlichkeit zu bewahren und Missbrauch zu verhindern.

     

    Ich stehe voll und ganz hinter der Rede von Ilja Seifert die mich selbst ebenfalls berührt hat.

  • D
    deviant

    @B Punkt

     

    Es lässt sich tatsächlich aus meinem Kommentar herauslesen, dass ich jeden, der generell gegen PID ist, für einen Vasallen Roms halte, das war aber nicht meine Absicht.

    Es ging eher darum festzustellen, dass es eine Gruppe innerhalb der generellen Gegner gibt, die ich tatsächlich für Marionetten ihrer Kirche halte; nicht zuletzt sind einige davon gar Angestellte dieser Kirchen.

     

    Wie gesagt, es gibt vernünftige Argumente auf beiden Seiten, das bedeutet aber nunmal nicht, dass ich nicht viele der Argumente der Gegner nicht nur für polemisch und unvernünftig halte, sondern zudem auch noch für in einem säkularen Staat hanebüchen legitimiert ("Deus lo vult").

  • P
    Paulson

    "Dass viele Abgeordnete keinen Hehl daraus machten, dass sie sich nicht an ihr eigenes Gewissen, sondern an ihre Kirchen halten, verstört mich als Atheisten zusätzlich."

     

    Das ist nunmal die Kirche, eine Meinungsfabrik welche jedem der sich darauf einlässt eine Einheitsmeinung infiltriert, welche auf Märchen, Gewalt und Rassismus gebaut ist.

  • S
    susi

    Wer PID - zu welchem Zweck auch immer (es geht längst nicht mehr um die Vermeidung genetischer Defekte, eher um die Festlegung des Geschlechts und anderer "Extras") - benötigt, fährt einfach ins Ausland. In vielen Ländern ist einfach alles legal und für Geld erhältlich. Warum tun wir Deutschen so, als wenn wir innerhalb unserer engen Grenzen eine ethische Marschroute vorgeben könnten, während der Rest der Welt uns gerade abhängt? Soviel zu dieser lächerlich pathetischen Vorstellung im Bundestag.

     

    Mit den AKW ist es übrigens ähnlich: Wir schalten so nach und nach alles ab und kaufen gleichzeitig als Ausgleich den Atomstrom aus Frankreich und der Tschechischen Republik. Damit setzen wir tatsächlich ein echtes Zeichen gegen Kernenergie!

     

    Reicht es denn wirklich, wenn wir uns die Welt allein innerhalb unserer engen Grenzen (ethisch) schön machen?

  • BP
    B Punkt

    Ein interessantes, (weil, jednefalls in dieser Form,) schwieriges Thema. Es ist der Situation zunächst hoch anzurechnen, dass sie solch offene Diskussionen ermöglicht. Das wird dem Thema gerecht, insofern halte ich die nachträgliche Einführung von Lagern wie "papsttreu" und "säkular" für unangemessen. Lassen Sie uns doch diese Kategorien ablegen.

     

    Die Schwierigkeit des Themas hängt mit der Absurdität der gegenwärtigen Gesetzeslage zusammen und(!) mit der Tatsache, das m. E. n. am falschen Ende der Front gekämpft wird. Die Feststellung, dass mit dem Verbot der PID den "seelenlosen Zellhaufen" (aktuell) mehr Rechte beigemessen würden als den Embryonen im Mutterleib, mag korrekt sein, kann jedoch nicht zur Legitimation der PID herangezogen werden, da zunächst die Legitimation der Spätabtreibung geprüft werden muss.

    Hier möchte ich Ansetzen, denn in beiden Fällen wird einem (sich in einem Frühstadium seiner Entwicklung befindlichen) Lebewesen die Entscheidung über leben und sterben verwehrt, ja entrissen.[1] Dieser Umstand muss jedem nur Ansatzweise liberalen Kopf inakzeptabel scheinen - ganz ohne metaphysische Bemühungen. Auch ein (schwer)behinderter Mensch kann in seinem Leben Glück empfinden und hat das unveräußerliche Recht darauf. Sinn der Medizin ist es hier das Leiden zu heilen bzw. das Leid zu mindern, um eben dieses Glückerleben leichter zugänglich zu machen, nicht das Glück- und Leiderleben von vornherein zu unterbinden.

     

    Dass ich mit meiner Kritik an der Spätabtreibung nicht für die Praxis der Abtribung allgemein sprechen kann und will, sei abschließend erwähnt. Bei letzterem handelt es sich um echte Interessenskonflikte, die einer Abwägung bedürfen.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    B.

     

    [1] Zumindest dann, wenn der Abort nur durchgeführt wird, weil schwere Behinderungen festgestellt wurden.

  • D
    deviant

    Ich hab mir die Debatte anschauen können und muss feststellen, dass ich sehr wohl Polemiken allerorten gehört habe, wenn auch leiser vorgetragen als sonst.

     

    Metaphorisch gesprochen scheint mir die Gruppe A (vorsichtige Genehmigung) zu fordern "Es ist stickig hier drin, machen wir ein Fenster auf", und die Gegner B (generelles Verbot) antworten "Wenn wir erstmal anfangen ein Fenster aufzumachen, ist das gleichbedeutend damit, alle Wände abzureissen".

     

    Ich habe in der Debatte viele gute Argumente dafür und dagegen gehört, die generelle Stoßrichtung der Dagegen-Partei (nein, nicht die Grünen, sondern die fünfte Kolonne des Papstes) "ein bisschen PID bedeutet bald Euthanasie und Designer-Babies im ganz großen Stile" empfand ich persönlich als der Sache unangemessen polemisch, weil es nunmal in keinster Weise um die Konstruktion eines Babies "from Scratch" geht, nebenbei bekämen eben bei einem völligen Verbot Zellenhaufen in der Petrischale mehr "Menschenrechte" zugebilligt als ungeborene Babies.

    Ist man ein Zyniker, könnte man zudem behaupten, einige Bundestagsabgeordnete billigten seelenlosen Zellklumpen ein höheres Recht auf Leben zu als afghanischen Bauern, die im Kampf für unseren Luxus als "Kollateralschaden" einkalkuliert werden.

     

    Dass viele Abgeordnete keinen Hehl daraus machten, dass sie sich nicht an ihr eigenes Gewissen, sondern an ihre Kirchen halten, verstört mich als Atheisten zusätzlich.

  • SO
    Sha O'Lin

    Guter Artikel, Frau Haarhoff. Informativ und gut zu lesen. Geht doch!