Bundestag und Sicherheitsbestimmungen: Ein echt nerviges Verfahrenshindernis
Weil seine Freundin aus Bosnien stammt, wird ein Linkspartei-Mitarbeiter zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt. Dabei war sie selbst dort beschäftigt.
BERLIN taz | Sebastian Kahl ist Mitarbeiter im Büro des Linksparteiabgeordneten Michael Leutert. Im Sommer 2014 gab er bei der Geheimschutzstelle des Bundestags seinen Antrag auf Sicherheitsüberprüfung ab. Eine Formalität, nicht mehr. Die zuständige Sachbearbeiterin warf einen Blick auf Kahls Antrag und sagte: „Machen Sie sich mal keine Sorgen.“ Ein Irrtum.
Kahl hat in seinem Job mit als geheim eingestuften Dokumenten zu tun. Leutert ist im Haushaltsausschuss. Und im Etat des Verteidigungsministeriums, den das Büro Leutert en détail checken muss, gilt ziemlich viel als geheim. Am 1. September 2014 erhielt der ausgebildete Volkswirt von der Geheimschutzstelle die Nachricht, dass er keinen Zugang zu als geheim eingestuften Dokumenten bekommt. Es gebe da „ein Verfahrenshindernis“. Seitdem hat Kahl ein Problem.
Wenn der Bundestagsabgeordnete Leutert Ausgaben für Rüstungsbeschaffung oder militärische Forschung prüft, muss er das ohne seinen Mitarbeiter tun. Auch den Bericht des Rechnungshofs zu dem Gewehr G 36, das bei Hitze versagt, durfte Kahl nicht lesen. „Im Haushaltsausschuss sind wir im Vergleich mit anderen Politikern im Nachteil“, sagt Kahl. Die Situation findet er „nervig“. Untersuchungsausschüsse sind für ihn auch tabu. Denn der 26-Jährige ist in den Augen der deutschen Bürokratie ein Sicherheitsrisiko.
Keine Marginalie
Das „Verfahrenshindernis“, das ihm den Job schwer macht, hat kurze braune Haare, eine Hornbrille – und ist mit ihm verlobt. Lana Sehovi kommt aus dem falschen Land: Bosnien-Herzegowina. Bosnien steht auf einer Liste von Staaten, die beim Sicherheitscheck als irgendwie gefährlich gelten. Auch Serbien, die Ukraine oder Vietnam gelten als Gefahr für die Bundesrepublik. Der Hintergrund: Die schwarze Liste wurde 1973 als Spionageabwehr gegen den Ostblock konzipiert – und recht schleppend aktualisiert. Der Linkspartei-Innenpolitiker Jan Korte hält sie für ein „absurdes ideologisches Überbleibsel des Kalten Krieges“.
Verwunderlich ist nicht nur die Auswahl der Staaten, sondern auch die Überprüfungspraxis, an der unter anderem Verfassungsschutz, BND und Auswärtiges Amt beteiligt sind. Die Liste ist keine Marginalie. Sie kommt jährlich bei rund 10.000 Sicherheitschecks zum Einsatz. Sehovi ist ein besonders schrilles Beispiel für die Abgründe der Überprüfungspraxis. Denn die 31-Jährige ist auch EU-Bürgerin. „Ich habe auch einen kroatischen Pass“, sagt sie – ihre Mutter ist Kroatin, ihr Vater Bosnier. Sehovi hat in Graz Jura studiert, hat nun einen festen Job in Berlin und zahlt in Deutschland ihre Steuern.
Besonders rätselhaft scheint ihr: „Wie konnte ich ein Jahr lang im Bundestag arbeiten, wenn ich ein Sicherheitsrisiko bin?“ Denn sie kam 2011 mit einem internationalen Parlamentsstipendium, arbeitete unter anderem im Büro eines SPD-Abgeordneten und bekam später ein Stipendium der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.
Die Bundesregierung freilich hält die Staatenliste für nötig, „um die Ausspähung durch fremde Geheimdienste und terroristische Vereinigungen zu verhindern“, so eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zum Sicherheitscheck.
Kein gutes Gefühl
Terrorgefahr? Spionage? Kahl kommt die Vorstellung, dass er seiner Verlobten zu Hause Materialbeschaffungslisten der Bundeswehr vorträgt, doch recht entlegen vor. Kurzum: Eigentlich müssten auch misstrauische Beamte einsehen, dass von der Adenauer-Stipendiatin, die ein Jahr im Bundestag ein- und ausging, keine akute Gefahr für die Sicherheit der Republik ausgeht.
Müsste. Könnte. Kann aber nicht. Denn eine Überprüfung ist, laut Sicherheitsüberprüfungsgesetz, frühestens fünf Jahre nach Einreise in die BRD möglich. Sehovi ist aber erst vier Jahre in Deutschland. Kahl mutet die ganze Situation „so bizarr an, dass es schon fast lustig ist“.
Sehovi findet die Sache eher nicht komisch: „Sebastian unterstützt mich in meinem Beruf – und ich bin der Grund, warum er seine Arbeit nicht richtig machen kann.“ Das sei kein gutes Gefühl. Ihr Vater hat sich seinen eigenen Reim darauf gemacht, warum sein Schwiegersohn in spe Stress auf der Arbeit hat. „Liegt es daran“, hat er seine Tochter kürzlich in Mostar gefragt, „dass ich Kemal heiße?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos