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Bundespräsidenten-WahlNetzgemeinde mobilisiert für Gauck

Die Bundespräsidenten-Frage bewegt die Netzgemeinde wie seit langem kein Thema. Bei ihrer Kampagne für den Kandidaten Joachim Gauck entwickelt sie ihre Protestformen weiter.

Hunderte Twitter-Nutzer werden zu Gauck: interaktives Mosaik. Bild: Screenshot www.der-gute-tweet.de/mygauck/

Der Münchner Social-Media-Berater Thomas Pfeiffer ärgerte sich. Nur drei Tage nach dem Rücktritt von Horst Köhler als Bundespräsident hatte Kanzlerin Angela Merkel den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff zu ihrem Kandidaten für die Nachfolge bestimmt. Pfeiffer ging das zu schnell. Er vermisste eine Debatte vor einer Festlegung auf Merkels CDU-Parteifreund. Der rot-grüne Gegenkandidat Joachim Gauck beeindruckte ihn hingegen. Also nahm er ein Foto des Ex-Chefs der Stasi-Unterlagenbehörde und programmierte daraus ein interaktives Mosaik.

Wer seit Sonntagnachmittag auf der Kurznachrichten-Plattform Twitter einen Eintrag mit dem Schlagwort (im Twitter-Sprech Hashtag genannt) #mygauck versieht, dessen Nutzerfoto wird auf Pfeiffers Website automatisch als ein winziger Teil von Gaucks Kopf angezeigt. Es dauerte nur ein paar Stunden, bis das Mosaik mit rund 1500 Teilnehmern vollständig ausgefüllt war. Seitdem aktualisiert es sich ständig weiter: Für jeden neuen Mitwirkenden fliegt ein alter wieder heraus. Bis Montagnachmittag hatten rund 2500 Personen mitgemacht.

Der Erfolg und die Kreativität der Aktion sind beispielhaft für die im Internet entstandene Graswurzel-Kampagne für den Kandidaten Gauck. Wie seit langem kein Thema bewegt die Bundespräsidenten-Frage die Netzgemeinde: Hier, im Internet, kochte Empörung über Köhlers Äußerung, notfalls seien auch militärische Einsätze notwendig, um Außenwirtschaftsinteressen zu wahren, schon frühzeitig hoch. Hier formierte sich unter dem Hashtag #notmypresident der Protest gegen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, als es noch so aussah, als schicke die Kanzlerin sie als Kandidatin ins Rennen. Dieser Widerstand ging auf eine alte Feindschaft zurück: Seit sich von der Leyen für eine Sperrung von kinderpornografischen Internetseiten einsetzte, ist sie bei Bloggern und Twitterern in etwa so beliebt wie FDP-Chef Guido Westerwelle bei Attac-Anhängern.

Nun mobilisiert die Webcommunity also – im ungewohnten Einklang mit etablierten Print-Medien wie dem Spiegel, der Bild am Sonntag, der Welt und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - mit all ihrem Enthusiasmus für Gauck. „Diese Dynamik habe ich auch nicht vorhergesehen“, sagt Mosaik-Initiator Thomas Pfeiffer. Erstaunlich ist sie schon deshalb, weil es – anders als im Fall Netzsperren – um kein webspezifisches Thema geht. Pfeiffers Erklärung dafür: „Die Netzgemeinde war an dem Thema Bundespräsident durch den Köhler-Skandal einfach schon dran und ist es dann weiter geblieben.“ Dass dies so bleibt, hofft ein Autor der IT-Nachrichtenseite Heise Online. „O mächtige Bloggerfaust, balle dich und mache diesen Gauck zu unser aller Präsident!“.

Ihre Faust ballen die Netzaktivisten vor allem, indem sie ihre früheren Protestformen weiter entwickeln - so wie das Mosaik, das Pfeiffer in einfacherer Form schon zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen und bei anderen Gelegenheiten eingesetzt hat. Ein anderes Blog reaktiviert die so genannte Online-Demo: Es stellt einen Quellcode zur Verfügung, mit dem jeder Internet-Seitenbetreiber eine Grafik einbauen kann. In der rechten oberen Ecke der bearbeiteten Webseite ist dann ein kleines Foto des früheren DDR-Bürgerrechtlers zu sehen. Fährt der Besucher mit seiner Maus darüber, klappt groß ein Schriftzug auf: „Ich unterstütze Joachim Gauck“.

Dass eine Facebook-Gruppe für Gauck wirbt, die am Montagnachmittag bereits knapp 9000 Mitglieder hatte, ist da keine allzu große Überraschung. Dass diese Seite von dem früheren Landesvorsitzenden der rheinland-pfälzischen Jungliberalen, Christoph Giesa, gegründet wurde, schon eher.

Wiederbelebt wurde auch die nichtoffizielle Online-Petition, eine digitale Form von Unterschriftenaktion (und nicht zu verwechseln mit jener Online-Petition, die förmlich beim Bundestag eingereicht wird). Nutzer können mit dem Hinterlassen ihres Namens etwa die Mitglieder der Bundesversammlung dazu aufrufen, für Gauck zu stimmen. Da es dem Volk nicht gestattet sei, die Wahl seines Bundespräsidenten durch Stimmabgabe zu beeinflussen, müsse es sich eben anderer Möglichkeiten bedienen, um seinen Willen zu verdeutlichen, begründet der Initiator. Der Urheber einer weiteren Petition, der Hamburger Werber und Sozialdemokrat Nico Lumma, stellte einfach ein simples Wordpress-Blog ins Netz, das Nutzer mit Design und Texten weiterentwickeln sollen.

Auf Twitter laufen die im Netz verstreuten Aktivitäten zusammen und dort heizen sich die Fans des 70-jährigen Bewerbers gegenseitig an. Einer fragt: „Ähm, wer außer Merkel ist eigentlich gegen Gauck?“ Ein anderer vergleicht: „Ich glaube, Gauck wird die Lena der Bundesversammlung.“ Ein dritter weiß schon genau, wie die Wahl am 30. Juni ablaufen wird: „Wulff kommt nicht durch, Gauck gewinnt im dritten Wahlgang, Merkel stellt die Vertrauensfrage, verliert, Neuwahlen.“

Dazu beitragen, die Kanzlerin zu stürzen - kein politisches Ziel ist der Internetgemeinde, die ihren wachsenden Einfluss entdeckt, in diesen Tagen zu groß.

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13 Kommentare

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  • SP
    Stefan Pohl

    War es nicht Wulff, der als erste Handlung nach Amtseinführung, ganz staatsmännisch,die Bürokratie abbaute durch Streichung des Blindengeldes...

  • M
    magic

    Wer Wulff als Kandidaten nominiert, muß sich über so eine Kampagne nicht wundern. Daß die Kampagne mit einem geschickt ausgewählten Gegenkandidaten wie Gauck extra leicht zu befeuern ist, bedeutet dann doppeltes, aber vorhersehbares Pech für CDU-CSU-FDP und auch die Chance für einzelne, mehr daraus zu machen. Die Befragung des Gewissens vor der Stimmabgabe sollte nicht nur dem Gedanken an die Parteidisziplin Raum geben, sondern durchaus auch anderen taktischen Fragen ;-)

  • DD
    Dr. Doom

    @ Werner Winkler: Platzeck hat es kein Jahr im Parteivorsitz der SPD ausgehalten, da wird der sicher nicht Kanzler werden. Der ist schon hier in Brandenburg schwer genug beschäftigt, sich mit der Linkspartei in einer Koalition herumzuschlagen.

  • H
    herberthansen

    nüchtern betrachtet sollte man dafür sorgen das die bundesversammlung eine abstimmung nach gewissen macht. grundsätzlich scheint das parteipolitische gescharre der letzten jahre dem bürger auf die nerven zu gehen. gauck ist letztlich das ventil des volkes um sich gegenüber den politischen klassen luft zu verschaffen und ein zeichen zu setzten:

     

    liebe parteipolitiker so wie bisher gehts nicht weiter. man muß sich ängstigen um die demokratie und den gesellschaftlichen frieden in diesem land. das sollten die verantwortlichen in berlin nun endlich mal kapieren und ihre phrasendrescherei in wirkliche arbeit umwandeln, sonst werden die parteien nämlich reformiert.

     

    mfg herbert

  • N
    nemo

    Jetzt versuchen die sterbenden Medien der Netzgemeinde ihre Meinung einzureden. Das funktioniert nicht wie bei ARD und ZDF und SPRINGER, nicht im Netz, wie sie im Übrigen bereits sehen konnten, aktuell sehen und künftig erneut sehen werden. Facebook (ach wie süß) ist übrigens nicht die Netzgemeine - falls es diese per se überhaupt als homogene Gruppe existieren sollte, aber erzähl dies einmal den internetausdruckenden Realitätsverweigerern in Politik und Medien, die ihre Felle davonschwimmen sehen, weil bisher bestens erprobte und erfolgreich genutzte Propagandamultiplikatoren im Netz einfach nicht funktionieren wollen.

  • S
    sel

    Ich darf die geneigte Netzgemeinde auf ein paar Hintergründe zu Gauck aufmerksam machen:

    "Er ist Mitglied des Verbandes Atlantik-Brücke und Mitglied im Senat der von Helmut Schmidt, Kurt Biedenkopf u. a. gegründeten Deutschen Nationalstiftung."

     

    Welche Ziele verfolgt diese Stiftung? Siehe dazu ein Papier vom November 1996: "Wir brauchen in Deutschland politische Schritte mit einer längeren Perspektive. Folgende wichtige Komponenten sind für die Gesundung Deutschlands nötig:

    * Umbau der Sozialversicherung;

    * Renovierung der öffentlichen Finanzwirtschaft;

    * längeres Anhalten der Realeinkommen;

    * Verzicht auf weitere DM-Aufwertungen;

    * eine umfassende Deregulierung auf allen Gebieten."

     

    Kein Wunder, dass die FDP den Kandidaten toll findet.

     

    Mit Dank an die nachdenkseiten.de

  • R
    reblek

    Es wird Zeit, dass mal jemand zwei Dinge erklärt:

    1. Warum ist das Amt "Bundespräsident(in)" sinnvoll und notwendig?

    2. Was qualifiziert Gauck, dass Linke (vor allem diesseits der gleichnamigen Partei) ihn in dieses Amt wünschen sollten? Dass er weniger Langweiler ist als Wulff, ist nämlich nicht gesichert.

  • V
    vic

    Ok, was Wulff angeht sind wir uns einig.

    Aber sooo gut ist Gauck nun auch wieder nicht. Das war eine - zugegeben- taktische Nominierung der Opposition (haha).

    Wirklich gute Leute haben gar kein Interesse an diesem überflüssigen Job.

    Aber wenn´s denn sein muss, warum dann nicht Heiner Geißler?

    Der wäre für die Schwarzen ebenfalls schwer abzulehnen.

  • M
    Merker

    Auf Merkel kommen unangenehme Tage und Wochen zu: Ein total hirnverbranntes Sparpaket, ein zurückgetretener Präsident, Gauck im Nacken, Liberale, die öffentlich über eine Ampel nachdenken, ...

  • S
    sub

    irgendwie mobilisiert nur die taz wirklich.. aber das der taz dabei alles recht ist..

  • B
    Breinholt

    Ja, die CDU! Die jüngsten Abgänge (Koch und Köhler) sind nun wirklich kein Verlust für die politische Landschaft. Der eine ein populistischer Polit-Rambo, der sein Bundesland nun wirklich in keinerlei Hinsicht während seiner Regentschaft weitergebracht hat. Der Andere ein radebrechender Promi-Stammler, der offensichtlich keine wirklich fundierte Meinung zu irgendeinem aktuell relevanten politischen Thema hat. Und der sich sämtliche öffentlichen Reden ausnahmslos von fachkundigen Beratern schreiben ließ und in cholerischer Manier reichlich fähiges Personal aus Schloß Bellevue vertrieb. Und nun will die Union in ihrer Not einen der ewig gleichen farblosen Polit-Advokaten ins Amt hieven? Muss das wirklich sein? Könnte denn nicht auch der Gegenkandidat, der über eine wirkliche Botschaft und echte Lebenserfahrung verfügt, die Ansprüche der Union (sofern sie überhaupt welche besitzt) erfüllen?

     

    Das Joachim Gauck in der Bevölkerung - und insbesondere angesichts der bevorstehenden Präsidentenwahl - ganz eindeutig die größeren Symphatien in der Bevölkerung genießt, würde der Wahl von Wulff eine besonders pikante Note verleihen: Mutter Merkel läßt die "zweite Wahl" des Volkes zum Bundespräsidenten wählen, damit ein somit weggelobter Wulff ihr politisch in der

    Folgezeit nicht mehr in die Quere kommen kann. Die Mitglieder des "Andenpaktes" hätte die german iron lady dann wohl der reihe nach abserviert. Respekt!

     

    "Nein, Angela, wir wollen Schwiegersohn Wulff nicht! Und außerdem hast Du den Joachim Gauck in der Vergangenheit doch immer hoch gelobt! Denk doch nicht immer nur an Deinen Vorteil!

     

    Deinen Wunschkandidaten Wulff dem Gegenkandidaten Gauck vorzuziehen wäre der nächste (überflüssige) Fehler Deiner schwarzgelben Koalition! Kannst Du dir den noch leisten?"

  • HW
    Harro Wittek

    Wulff und die Manipulationen des Bundesjustizministeriums

     

    Wulff als Bundespräsident, nein danke. Schamlos sieht er zu, wie sich das Bundesjustizministerium mit Falschaussagen gegen meine beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereichte Beschwerde verteidigte. Zweimal bat ich ihn als CDU-Präsidiumsmitglied schriftlich um Hilfe, da das Justizministerium die Aufklärung meiner Vorwürfe verschleppt. Keine Antwort. Ein Gespräch in seinem Wahlkreisbüro, lehnte er ab, da ich nicht in seinem Wahlkreis wohne. Für Wulff zählen nur Macht und Posten, die Menschenrechtskonvention ist ihm egal. Damit uns unsere Menschenrechte erhalten bleiben: Joachim Gauck. Mehr dazu auf meiner Homepage www.harro-wittek.de.

  • WW
    Werner Winkler

    Eine weitere denkbare Option, was geschehen könnte: Die FDP entscheidet sich zuerst in NRW und dann im Bund für die Ampel, Platzeck wird Kanzler, Gauck Bundespräsident, Merkel Rentnerin und von der Leyen Oppositionsführerin :)