piwik no script img

Bundespräsident Wulff unter BeschussAbseits des Geheuls

Wulff wankt. Muss er zurücktreten? Gründe dafür gibt es, jeden Tag ein paar mehr. Aber Journalisten sollten in dieser Frage nicht der Maßstab sein. Ein Plädoyer.

Gehen oder bleiben? Bundespräsident Wulff selbst jedenfalls steht zu sich. : dapd

Wer entscheidet, ob Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurücktreten muss: die Bundeskanzlerin? Das Volk? Er selbst? Die Medien?

Die Bundeskanzlerin steht zu Christian Wulff. Der Bundespräsident habe ihr vollstes Vertrauen, sagt Angela Merkel.

Das Volk steht zu Christian Wulff. 70 Prozent der Wähler seien gegen seinen Rücktritt, so die neusten Zahlen des ARD-Deutschlandtrends.

Auch Christian Wulff steht zu Christian Wulff. "Man muss selber wissen, was man macht", sagt er.

Anders die Medien, viele haben ihr Urteil über den Bundespräsidenten gefällt. Zu beobachten ist ein bemerkenswerter Schulterschluss vom Boulevard zum Feuilleton, ein seltenes Medienereignis. Das letzte Mal zu bestaunen, als Joachim Gauck ins Schloss Bellevue einziehen sollte. Es hat nicht geklappt.

Sollen Schlagzeilen Wulff stürzen?

Ob hier ein Zusammenhang besteht? Der Spiegel inzeniert Wulff auf seinem aktuellen Titelbild als verkrampfte und etwas ungelenke Person. Hinter ihm der Bundesadler. Darüber die Zeile "Der falsche Präsident". Die "Hamburger Morgenpost" präsentiert Wulff im Strandkorb, entspannt und wohl gebräunt. Der Titel: "Der Oberschnorrer!" Frank Schirrmacher spricht dem Bundespräsidenten im FAZ-Feuilleton die Berechtigung ab, in Zukunft über Bonität und Bürgschaften zu sprechen. "Jetzt muss er verstummen", schreibt Schirrmacher.

Die Bild collagiert eine Auswahl eindeutiger Überschriften ("Wulffs heikle Urlaubs-Liste", "Wulff wartet auf Weihnachtswunder", "Ein Präsident auf Abruf") und fragt, scheinbar besorgt, ernsthaft scheinheilig: "Wie lange hält das Amt solche Schlagzeilen aus?"

Jeder Einzelne muss entscheiden

Es gibt gute Gründe, warum Christian Wulff zurücktreten sollte. Es werden jeden Tag mehr. Einige davon liefert der Spiegel mit akribischen, herausragenden Recherchen.

Aber es gibt ebenso gute Gründe, zwei Schritte zurückzutreten, sich abseits des Mediengeheuls zu stellen, bevor man als wacher Bürger und interessierter Leser die Fragen beantwortet, ob Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurücktreten muss.

"Bislang war er kein besonders guter Präsident, aber nun erweist er sich auch als der falsche", schreibt der Spiegel. Wer entscheidet über die moralische Frage, ob Christian Wulff zurücktreten muss? Hoffentlich jeder Einzelne von uns. Unabhängig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen