Bundesliga: Kaninchen im Schneckentempo
Ein grotesk miserables Spiel zwischen dem 1. FC Nürnberg und Werder Bremen findet in den Norddeutschen skandalöserweise einen Sieger.
NÜRNBERG taz Wenn Kaninchen auf eine Schlange treffen, strecken sie die Waffen und stellen das Hoppeln ein. Sagt man zumindest so. Wer weder Mümmelmänner im Garten hat, noch einen Garten, und schon gar keine freilaufende Kobra zur Hand, wird das nie überprüfen können. Fußballerisch gesehen ist die Schlange-Kaninchen-Konstellation jedenfalls nicht die allerschlechteste, wahrscheinlich wird sie deshalb so oft von Sportjournalisten bemüht. Denn dabei fallen meist jede Menge Tore. Denn wenn sich Kaninchen gegenseitig paralysieren, ist das ein Schauspiel, das nur schwer 90 Minuten zu ertragen ist. In Nürnberg hatten 45.200 Zeitzeugen dafür auch noch einen sonnigen Nachmittag geopfert.
VfL Bochum - Hamburger SV 2:1
VfB Stuttgart - MSV Duisburg 1:0
Bayern München - Hannover 96 3:0
Bayer Leverkusen - Karlsruher SC 3:0
1. FC Nürnberg - Werder Bremen 0:1
Borussia Dortmund - Cottbus 3:0
Arminia Bielefeld - Hertha BSC 2:0
Eintracht Frankfurt - Hansa Rostock
VfL Wolfsburg - FC Schalke 04
Schon in den ersten fünf Minuten spielten sich Peer Mertesacker und Naldo in der Bremer Innenverteidigung so geriatrisch die Bälle hin und her, dass man das nur mit viel Wohlwollen als taktische Finte interpretieren konnte: Wahrscheinlich wollte da jemand den Gegner aus der Reserve locken. Doch der fand es in der Reserve ganz komfortabel und dachte nicht im Traum daran, so etwas wie Forechecking zu betreiben. Stattdessen beschattete Peer Kluge Bremens Spielmacher Diego taktisch so flexibel wie ein Magnet, Thomas Galasek interpretierte die 6-er-Position rein defensiv und Marek Mintal verkrümelte sich - wie mit fortschreitender Spielzeit die Mehrzahl seiner Teamkollegen. Kurzum: Ein Mittelfeldspiel fand nicht statt. Und vorne stand Joshua Kennedy, der lange, sehr lange verletzt war.
Umgekehrt bestätigte Werder Bremen den Anfangsverdacht jedes halbwegs Fußballinteressierten: Bayern München wird alleine deshalb einen souveränen Parcours zur Meisterschaft hinlegen, weil bei den ernst zu nehmenden Rivalen die Zweite Reihe eben wirklich die Zweite Reihe ist. Und genau die spielte in Nürnberg. Besser gesagt: Sie stand auf dem Platz. Beim Spiel des aktuellen Pokalsiegers gegen den Tabellendritten vom Vorjahr war alles in allem kein einziger gelungener Spielzug zu sehen. Die Bälle flogen hoch und weit, doch das Spieltempo blieb im Bereich eines durchschnittlichen Vorbereitungsspiels. Man kickte. Und nirgendwo rushte es.
Doch irgendwann hatte ein gnädiges Schicksal den Uhrzeiger auf die 61. Minute gestellt. Ein junger Mann namens Martin Harnik betrat die Bühne. Und legte acht Minuten später den einzigen Auftritt des Nachmittags hin. Ballannahme, Schuss ins kurze Eck. 0:1 (69.). Das Spiel war entschieden. Und der Schütze sah sich plötzlich Reportern gegenüber, die allen Ernstes von ihm wissen wollten, warum er nicht auch noch eine zweite Chance verwertet habe: "Oh je, das geht aber schnell", antwortete der Jungspund irritiert, er fühle sich "im Kopf noch ziemlich leer".
Man kann davon ausgehen, dass Harnik das mit dem leeren Kopf in ein paar Jahren nicht mehr sagen wird. Als Profifußballer entwickelt man in kürzester Zeit Techniken, um klare Aussagen zu umgehen. Deshalb sagte Mertesacker, der nicht nur wohl erzogen aussieht, auch "völlig egal" statt "scheißegal", als er gefragt wurde, wie er die Leistung seines Teams denn so einstufe, "es war jedenfalls wichtig, dass wir gewonnen haben." Doch kurz darauf blickte Mertesacker wie jemand drein, der am liebsten allen umstehenden Journalisten sofort stellvertretend für Ihre Branche den Stinkefinger ins Gesicht strecken wollte. Was er sagte, war sozialverträglicher: "Wir wollten uns frei machen von all dem Krisen-Gerede." Befreiend fand den Sieg auch Trainer Thomas Schaaf. Er hatte ein Spiel gesehen, "das sicher nicht hochklassig war, aber das konnte man in unserer Situation auch nicht erwarten."
In der Tat hatten die Bremer gleich acht Gründe für ihren Pragmatismus auf ihrer Seite: Womé, Klasnic, Hunt, Frings, Borowski, Carlos, Fritz und Owomoyela. Denn sie alle fehlten in Nürnberg. Und so hatte wenigstens eines der beteiligten Teams ein Argument für ein unsägliches Spiel, das in einem veritablen Skandal gipfelte: Dem, dass es nicht 0:0 endete.
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