Bundeskongress der Jusos: Auch profitable Banken verstaatlichen
Zwar schmerzt der Verlust von Beck, doch die Jusos wollen keine neue Personaldebatte. Dafür wird Generalsekretär Heil inhaltlich in die Mangel genommen: Die Jusos verlangen mehr Staat.
WEIMAR taz Was so ein Büchertisch doch manchmal verrät. Im Eingangsbereich der Weimarhalle hat der Vorwärts-Verlag so ziemlich jede Schrift aufgetischt, die irgendwie mit Sozialdemokratie zu tun hat: Politikwissenschaftler, die den Untergang des Kapitalismus analysieren, soziologische Streitschriften und natürlich die Werke sozialdemokratischer Großkopferten: Brandt, Müntefering, Gabriel liegen dort ganz vorne, man kann sie gar nicht verfehlen.
Richtig suchen muss man nur nach der Autobiografie von Kurt Beck. Sie ist fast gänzlich überdeckt, und zwar von Helmut Schmidts neuester Bilanz. Titel: "Außer Dienst."
Der diesjährige Juso-Bundeskongress, das ist schon am ersten Tag klar, wird keine Kurt-Beck-Gedenkveranstaltung. Dabei war er - so ironisch das klingen mag - ein Hoffnungsträger der Linken, und damit auch großer Teile der Jusos gewesen.
Nun gut, die rheinland-pfälzische Delegation klatscht den ganzen Abend nicht richtig mit. Ein Redner spricht noch vom "absoluten Tiefpunkt" innerparteilichen Miteinanders. Da brandet Jubel auf. Aber viel mehr Nostalgie ist da nicht.
Juso-Chefin Franziska Drohsel bringt die Stimmung auf den Punkt, als sie zum Auftakt zu Protokoll gibt: "Es ist kein Geheimnis, dass wir es sehr bedauerlich fanden, dass Kurt Beck zurückgetreten ist." Und, dass man davon ausgehe, dass die Basta-Politik der Schröder-Ära ein für allemal beendet sei.
Das war es aber auch schon. Kein Wort der Kritik an Frank-Walter Steinmeier oder Franz Müntefering gerichtet. Ihre Namen fallen nicht einmal in der Rede. An deren Aufstellung für die Bundestagswahl ist ohnehin nicht mehr zu rütteln.
Was für die Parteilinke gilt, gilt auch für den Jugendverband: Personaldebatten sollen jetzt, da in die Partei wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt ist, vermieden werden. Auch wenn hier wohl die meisten die Umstände der Ablösung des damaligen Parteivorsitzenden Beck skandalös finden und das ganze Theater am Schwielowsee erst einen Monat her ist.
Um so schärfer wollen die Jusos inhaltlich Druck auf die Mutterpartei auszuüben. Und dafür könnten die Rahmenbedingungen besser ja gar nicht sein: Der Neoliberalismus geht gerade an den Börsen der Welt unter, Banken werden allerorten verstaatlicht, der Staat ist der Retter in letzter Not, und jetzt ist auch noch der Börsengang der Bahn verschoben worden. Die Jusos fühlen sich auf ganzer Linie in ihrer langjährigen Kritik bestätigt.
Entsprechend forsch der Auftritt der Juso-Chefin nur eine Woche vor dem Sonderparteitag der SPD am nächsten Wochenende. "Die neoliberalen Märchen von der Selbstregulierung der Märkte wollen selbst ihre entschiedensten Protagonisten nicht mehr hören", ruft Drohsel den Delegierten zu. "Plötzlich sind alle Attac."
Ihre Forderungen sind klar: Den Finanzmärkten müssen die Fesseln angelegt werden. Das heißt konkret: Finanztransaktionen und Devisengeschäfte müssen "saftig" versteuert, globale Haftungsregelungen für die Global-Player eingeführt, Banken verstaatlich werden – und zwar auch profitable Kreditinstitute. "Es kann nicht sein, dass Verluste sozialisiert werden und die Profite von Protagonisten des Zusammenbruchs privat wieder eingestrichen werden können", sagt die Juso-Chefin.
Auch andere Stellen des noch zu schreibenden SPD-Parteiprogramms wollen die Jusos entscheidend beeinflussen. Die Armut müsse stärker bekämpft werden, fordert die 28-Jährige, ein Ausstieg aus dem Atomausstieg dürfe ebenso wenig in Frage kommen wie Studiengebühren. Und der Staat soll auch nicht bei den Banken Halt machen, meint Franziska Drohsel: "Die Rekommunalisierung der Stadtwerke, die Vergesellschaftung zentraler Schlüsselbereiche muss jetzt Thema sein!"
Als Vertreter der Parteiführung ist Generalsekretär Hubertus Heil eingeladen. Heil versucht sein Bestes, konsequent im Juso-Jargon zu reden, spricht von "mehrdimensionaler Armut", "fehlenden Perspektiven", der "Qualität des Sozialstaats" und "solidarischer Absicherung". Nur eines fehlt: Worte zur noch immer umstrittenen Agenda 2010.
Das will hier keiner verstehen, denn schließlich sind die neuen Heilsbringer, der jetzige Außenminister und der alte und künftige Parteivorsitzende, zwei Männer, die die Agenda vorangetrieben, ja gar miterfunden haben. Und je weniger Selbstkritik der Parteiführung, desto härter die Angriffe – diese Formel hat bei den Jusos Tradition. Entsprechend heftig fallen die Scharmützel aus nach dem Ende von Heils Rede.
Und noch ein Thema ist den Jusos ein Dorn im Auge: Der erst am Sonntag vom Bundeskabinett beschlossenen Bundeswehreinsatz im Innern. "Wir wollen keine Militarisierung der Gesellschaft", schmettert ein Delegierter aus Sachsen dem Generalsekretär entgegen.
Der muss anschließend bei seinem zweiten Podiumsauftritt richtig kämpfen. Es wird fast schon ein Wahlkampfauftritt, Heil wirkt gereizt. "Leute, lasst uns doch Selbstbewusstsein haben. Keine Selbstzufriedenheit, aber Selbstbewusstsein", ruft er den jungen Genossen zu. "Lasst uns doch endlich mal nach vorne diskutieren. Wir haben die klarsten Positionen aller Parteien."
Sie reizen ihn, die Jusos, so viel ist klar. Aber im Zorn will Heil nun doch nicht gehen. Deshalb sagt er zum Abschluss: "Streitet ruhig, das ist gut so. Aber spart Euch noch ein bisschen Kraft auf für das nächste Jahr. Denn wir wollen gewinnen."
Da erheben sich manche sogar von ihrem Sitz. Was zählt, ist schließlich vor allem der Erfolg. Auch für die Jusos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren