Bundesgerichtshof zu "Tötung auf Verlangen": Todeswunsch muss "ernsthaft" sein
Der Bundesgerichtshof verlangt neuen Prozess gegen Mann, der seine kranke Frau erschoss - angeblich auf Verlangen. Die Tochter seiner Frau glaubte die Geschichte nicht.
![](https://taz.de/picture/294854/14/16312770.20101007-15.jpg)
Bei einer "Tötung auf Verlangen" muss gründlich geprüft werden, ob überhaupt ein "ernsthafter" Todeswunsch vorlag. Das forderte jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem außergewöhnlichen Fall aus Niedersachsen.
Ein damals 74-jähriger Geschäftsmann aus Oyten hatte voriges Jahr seine 21 Jahre jüngere Frau und seinen Hund erschossen. Ein anschließender Selbstmordversuch scheiterte, der Mann zerschoss sich nur die Milz. Vor dem Landgericht Verden sagte der Mann, er habe seine Frau auf deren Verlangen hin getötet. Sie habe unter einem schmerzhaften Unterleibsgeschwür gelitten. Allerdings stellte sich bei der Obduktion heraus, dass der zwei Kilo schwere Tumor gutartig war und hätte entfernt werden können.
Die Staatsanwaltschaft und die Tochter der Frau glaubten die Geschichte nicht. Sie nahmen an, dass Finanzprobleme des Geschäftsmannes den Anlass für die Bluttat gaben. Der Mann habe den Gesichtsverlust nicht ertragen. Sie forderten eine Verurteilung wegen Mordes. Der Mann habe seine Frau heimtückisch im Schlaf getötet.
Das Landgericht verhängte im November 2009 nur eine milde Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren wegen Tötung auf Verlangen. Der Mann sei Geldprobleme gewohnt gewesen. Der Fundort der angekleideten Leiche auf einem Sofa spreche gegen einen Mord im Schlaf, weil die Frau stets im Bett geschlafen habe.
Auf Antrag der Tochter hob der Bundesgerichtshof nun das Urteil aus Verden auf. Die Begründung lasse offen, was die Eheleute vor dem Todesschuss genau besprochen haben. So könne der BGH aber nicht prüfen, wie "ernsthaft" der angebliche Todeswunsch der Frau gewesen sei. Immerhin habe die Ehefrau noch Pläne für den bevorstehenden Sommer und die Renovierung des Hauses geschmiedet. Für eine Strafmilderung genüge es nicht, wenn das Tötungsverlangen auf einer "Augenblicksstimmung" beruhe, so der BGH. Erforderlich sei vielmehr eine "tiefere Reflexion".
Der BGH forderte einen neuen Prozess am Landgericht Stade. Auf Mord steht zwingend "lebenslänglich", bei einer Tötung auf Verlangen beträgt die Höchststrafe nur fünf Jahre. Straflos sind in Deutschland nur die Beihilfe zum Suizid und der Abbruch einer künstlichen Ernährung auf Wunsch des Kranken. (Az.: 3 StR 168/10)
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