Bürgermeisterwahlkampf in Stuttgart: Die Menschenfängerin
Das Rennen um das Stuttgarter Rathaus bleibt spannend: Bettina Wilhelm weiß sich als bürgernahe Kandidatin der SPD in Szene zu setzen.
STUTTGART taz | Brigitte Fußgang und Evelyn Schweizer schauen sich um. „Und wo sind heute die Männer?“, fragt eine der beiden Damen. „Wenn einem Stuttgart am Herzen liegt, sollte man schon da sein.“ Doch die Männer – die Kandidaten von Grünen und CDU – haben sich noch gar nicht blicken lassen beim Bürgerfrühstück, zu dem in der Stuttgarter Innenstadt Biertische aufgebaut worden sind. Stattdessen kommt Bettina Wilhelm herüber.
Wilhelm wurde von der SPD als parteilose Oberbürgermeister-Kandidatin aufgestellt. An diesem Samstag läuft die 48-Jährige im Hosenanzug und mit lila-rotem Schal von Tisch zu Tisch. Immer wieder streift sie ihre rotbräunlichen Locken hinters Ohr, lächelt und wünscht „Guten Appetit“.
Die Wählerinnen Fußgang und Schweizer sind angetan. „Ich bin seit Langem eine CDU-Anhängerin“, sagt Evelyn Schweizer. Doch der von der CDU aufgestellte parteilose Sebastian Turner komme für sie gar nicht in Frage. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Fritz Kuhn spreche sie nicht an. „Eine Frau ist viel emotionaler als ein Mann. Das würde Stuttgart guttun.“
Wie wird Stuttgart kinderfreundlich? Wie steht es um die Schulen? Und was passiert am Bahnhof, mit den Stadtwerken und den Schulden? Stuttgart – die Metropole, die wie keine andere in Deutschland seit dem Streit um Stuttgart 21 für Bürgerbeteiligung steht – wählt und diskutiert.
Wer kann die Stadt am besten regieren?
Die taz macht einen besonderen Stresstest: Die KandidatInnen Bettina Wilhelm (parteilos, von der SPD unterstützt), Fritz Kuhn (Grüne), Sebastian Turner (parteilos, von der CDU unterstützt) und Hannes Rockenbauch (SÖS, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21) stellen sich den Fragen von taz-Chefredakteurin Ines Pohl. Zudem müssen alle vier Zwischenrufe kontern – von weiteren Gegenkandidaten. Zum Zwischenruf kommen: Wolfram Bernhardt (parteilos), Jens Loewe (parteilos), Harald Hermann (Piraten).
Donnerstag, 20. September 2012, 19.30 Uhr
Theaterhaus Stuttgart | T2 | Siemensstr. 11 | 70469 Stuttgart
Den Live-Stream zur Veranstaltung finden Sie hier.
Punktgewinn für Wilhelm, die einzige Frau im Rennen um das OB-Amt und überaus begabt darin, auf Menschen zuzugehen. Sie weiß, dass sie auf diese beiden Karten setzen muss, wenn Stuttgart sich am 7. Oktober für sie entscheiden soll.
Politprofi gegen Millionär
Lange Zeit stand Wilhelm im Schatten von Kuhn und Turner. Alles schien auf einen Zweikampf zwischen dem erfahrenen Politprofi auf der einen und dem Unternehmer und Millionär auf der anderen Seite hinauszulaufen. Wilhelm wurde spät von der SPD nominiert. Während sich Kuhn und Turner längst medial warmliefen, dauerte es Monate, bis die zweiköpfige Findungskommission ihren Namen bekannt gab. Und mit dem konnten dann viele zunächst gar nichts anfangen.
Eine Bürgermeisterin aus Schwäbisch Hall, nicht einmal Mitglied der SPD. Es schien auf den ersten Blick wie eine Art Aushilfskandidatin für eine Wahl, die ohnehin die Grünen und die CDU unter sich ausmachen würden. Die Grünen stellen die stärkste Fraktion im Gemeinderat, holten bei der Landtagswahl 2011 drei von vier Direktmandaten in Stuttgart und können auf die Unterstützung des populären Ministerpräsidenten bauen.
Die Christdemokraten stellen mit Wolfgang Schuster den aktuellen Amtsinhaber und haben trotz der Abwahl der schwarz-gelben Landesregierung noch immer eine Hausmacht in Baden-Württemberg.
Bei der OB-Wahl in Stuttgart geht es deshalb nicht nur um die Vergabe des Postens. Mit der Wahl wird sich auch zeigen, ob sich der grüne Erfolg verstetigt, oder die CDU zurückschlagen kann. Doch beide Parteien haben Kandidaten aufgestellt, die zwar große Namen haben, aber keine großen Menschenfänger sind. Wilhelm beschreibt sich deshalb als „Gegenmodell“.
Lenken mit Charme
„Was sie sicher nicht so hat, ist das Weltmännische“, sagt Christoph Tangl, der als Leiter der Familienbildungsstätte in Kirchheim unter Teck einige Jahre mit Wilhelm zusammengearbeitet hat. Das ganz große Parkett sei sie nicht gewohnt, habe dafür aber andere Stärken: „In der Form sehr freundlich und im Ziel sehr konsequent“.
Dem Urteil Tangls schließt sich ein anderer Wegbegleiter an. Der frühere Pfarrer Gottfried Jetter kennt Wilhelm seit ihrem 13 Lebensjahr, er hat sie konfirmiert und ist ihr bis heute verbunden. „Bettina hat schon damals mit ihrem Charme eine Gruppe in die Richtung gelenkt, in die sie wollte.“ Mit ihrer Menschlichkeit verkörpere sie etwas anderes als die Politprofis. „Sie tritt unverkrampft auf, bezieht aber klar Stellung.“
Ihr Lebenslauf wirkt zielstrebig. Nach einer Ausbildung zur Erzieherin hat sie Sozialpädagogik studiert, zwei Töchter großgezogen, dann noch ein zweites Studium zur Diplom-Pädagogin draufgesattelt. Nach Stationen in Ludwigsburg und Kirchheim und einer verlorenen Bürgermeister-Wahl in Aalen 2005 wurde sie schließlich 2009 Erste Bürgermeisterin in Schwäbisch Hall, wo sie unter anderem für die Bereiche Bildung, Soziales und Kultur zuständig ist.
„Wir Kandidaten unterscheiden uns doch inhaltlich nur wenig“, sagt Wilhelm selbst. „Aber worin wir uns gewaltig unterscheiden, das ist im Stil. Das ist in der Art, in der Kommunikation und im Auftreten.“ Und letztlich gehe es darum, die Stadt zu repräsentieren. „Und das tue ich mit meiner Person und mit nichts anderem.“
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