Bürgermeisterkandidat von Istanbul: Der smarte Herausforderer
Mustafa Sarigül ist schon jetzt der wichtigste Gegenspieler von Erdogan. Er hat den Ruf eines Liberalen und trauert öffentlich um Berkin Elvan.

ISTANBUL taz | Am Mittwoch marschierte er an der Spitze des Trauerzuges mit. Mustafa Sarigül, Bürgermeister des Bezirks, in dem Berkin Elvan gelebt hat. Schon am Tag zuvor hatte Sarigül eine Kundgebung abgeblasen – aus Trauer und Respekt vor der Familie des verstorbenen Jungen.
Ob Sarigüls Beileidsbekundungen echt sind oder politisches Kalkül, ist im Moment nicht so wichtig. Die Wut der Menschen wird Sarigül in jedem Fall nutzen, denn er ist der derzeit wichtigste Herausforderer von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Am 30. März finden in der Türkei landesweite Kommunalwahlen statt. Doch angesichts der Ereignisse haben sie längst den Charakter eines Referendums über Erdogan angenommen.
Mustafa Sarigül ist der Kandidat der oppositionellen sozialdemokratisch-kemalistischen CHP für das Amt des Oberbürgermeisters von Istanbul. Die regierende AKP schickt Kadir Topbas ins Rennen. Doch auf ihren Plakaten zeigt die Partei in der ganzen Stadt nur ihren umstrittenen Ministerpräsidenten. So scheint es, als trete Sarigül direkt gegen Erdogan an, ein Missverständnis, das von beiden gewollt ist.
Denn Mustafa Sarigül hat große Ambitionen. Der smarte Mittfünfziger, der immer so aussieht, als käme er gerade aus einem Bräunungsstudio, ist seit mehr als zehn Jahren Bürgermeister eines der größten und reichsten Bezirke Istanbuls. Er hat auch auf der nationalen Bühne schon mitgespielt.
2005 wollte er Vorsitzender der CHP werden, unterlag aber dem damaligen Amtsinhaber Deniz Baykal, der Sarigül anschließend aus der Partei warf. Seitdem hat er den Ruf eines Liberalen, der sich gegen die alten, nationalistischen, kemalistischen Kader der Partei gestellt hat und den modernen, eher sozialdemokratischen Typus der CHP repräsentiert.
Lebensqualität statt Beton
Wie Erdogan ist Sarigül ein guter Redner – er verspricht, den Betonierungswahn Erdogans in Istanbul zu beenden und sich für die Lebensqualität in der Stadt einzusetzen. Erstmals seit zehn Jahren fürchtet die AKP in Sarigül einen echten Herausforderer. Entsprechend schmutzig wird jetzt gekämpft. Um die Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan zu kontern, hat seine AKP einen Geschäftsmann aufgetrieben, der behauptet, Sarigül würde ihm Millionen schulden. Erdogan ließ daraufhin Sarigüls Konten sperren.
Doch seit dem Tod des 15-jährigen Berkin Elvan ist die Korruptionsgeschichte sowieso in den Hintergrund getreten. Bisher wurde auf die Mauern der Stadt gesprüht: „Erdogan Hirzis“ – „Erdogan ist ein Dieb“. Mittlerweile sieht man überall: „Erdogan Katil“ – „Erdogan ist ein Mörder“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!