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Bürgermeisterin in Berlin-MitteDie Chance auf einen Neuanfang

Stefanie Remlinger soll Nachfolgerin des abgewählten Grünen Stephan von Dassel werden. Die jetzige Schulstadträtin muss die Bezirkspolitik wieder einen.

Einer Baustelle gleicht derzeit auch die Bezirkspolitik in Mitte. Stefanie Remlinger soll es richten Foto: Toni Petraschk

Berlin taz | Einmal im vergangenen Sommer steht Stefanie Remlinger auf einer Schulbaustelle in Mitte. Es sind noch Ferien, und sie, die an diesem Donnerstag Bürgermeisterin werden soll, ist da erst seit wenigen Monaten Schulstadträtin des Bezirks. Die Grünen-Politikerin hat zum Termin mit der taz gleich noch zwei Leute aus dem Bezirksamt mitgebracht, „damit Sie ein möglichst genaues Bild bekommen, was hier passiert“. Am Ende verlässt man die Baustelle mit dem Eindruck, dass da zumindest eine Schulstadträtin ist, die sich bemüht, und das ist ja schon mal nicht wenig. Eine, der die Missstände tatsächlich Schmerzen bereiten.

Da ist zum Beispiel die Anna-Lindh-Schule in ihrem Bezirk, die wegen verschleppter Sanierung zu einem krassen Havariefall wurde und jetzt wegen massivem Schimmelbefall in ein unzureichendes Bürogebäude ausgelagert ist. Die Lehrkräfte schrieben kürzlich in einem Brandbrief von unhaltbaren Zuständen: „Wir sind erschöpft.“

Angefasst wirkend schreibt die Schulstadträtin zurück, da ist sie eigentlich mit einer Corona-Infektion krank zu Hause: „Bitte seien Sie mit mir optimistisch. Und bitte lassen Sie nicht nach in Ihrem Fordern.“

Auch Remlinger ist eine, die nicht nachlässt. Die einfach immer weitermacht, scheinbar unermüdlich, auch Rückschlägen zum Trotz. Als sie 2011 ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde, grub sie sich mit viel Energie in die Bildungspolitik hinein, die sie auch schon vorher umtrieb: zunächst noch im politischen Ehrenamt, als Pankower Bezirksverordnete, und ab 2009 als Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung bei den Grünen.

Neues Bezirksamt in Mitte

Die Affäre Stephan von Dassel (Grüne) wurde Anfang September als Bezirksbürgermeister abgewählt. Er soll bei einer Stellenbesetzung einen Bewerber bevorzugt und dem unterlegenen Kandidaten Geld geboten haben, damit dieser auf eine Klage gegen die Entscheidung verzichtet. Die SPD gewinnt dadurch einen Stadtratsposten und hat am Mittwochabend entscheiden, als Remlingers Nachfolgerin im Schulamt die ehemalige SPD-Abgeordnete Maja Lasić zu nominieren. Das neue Bezirksamt wird am Donnerstagabend gewählt. (akl)

Remlinger hört man die Heimatgemeinde bei Stuttgart deutlich an. Dabei wohnt sie schon seit 1999 in Berlin. Sie wurde dann bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus. Man rief sie gern an, wenn man als Journalistin etwas wissen wollte: vor allem zum Schulbau oder wenn es um die Schuldigitalisierung ging, die ihr anderes Steckenpferd ist. Oder einfach zur jüngsten Idee der Bildungssenatorin. Denn klar war: Im Gespräch mit ihr kommt schon ein guter Punkt – auch wenn pointiertes Reden nicht unbedingt ihre Stärke ist.

2021 nicht erneut ins Abgeordnetenhaus

Die Partei dankte ihr das Fachwissen nicht. Aber darauf kommt es bei Machtpolitik ja ohnehin immer am wenigsten an. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 degradierte man sie zur Sprecherin für berufliche Bildung. Die im starken linken Flügel des Landesverbands besser vernetzte Kreuzbergerin Marianne Burkert-Eulitz wurde zuständig für das wichtige schulpolitische Sprecherinnenamt. Bei der Wahl 2021 reichte der Listenplatz 17 für die 51-jährige Reala nicht mehr für einen Einzug ins Abgeordnetenhaus. Sie selbst hatte Platz 7 angestrebt – doch dort wollte die Partei lieber eine 21-Jährige.

Dann aber besann sich Remlingers Partei doch noch auf die nutzbare Expertise der Frau, von der viele sagen, dass sie so verlässlich wie beharrlich zu ihrer Meinung steht, auch wenn sie nicht populär ist. Bei einem Grünen-Landesparteitag zum Thema Bildung vor vier Jahren etwa warnte sie all jene, die mehr Bildungsgerechtigkeit mit einer erneuten Reform der Schulstruktur verbinden und das Gymnasium am liebsten abschaffen wollten. Das würde zu einem „Schulkrieg“ führen, sagte Remlinger damals, wohl wissend, dass sie für diese Wortwahl von anderen Delegierten heftig kritisiert werden würde.

Remlinger, die Diplom-Kulturwirtin, wurde Schulstadträtin in Mitte. Und auch wenn sie diesen Job im Prinzip einer Niederlage zu verdanken hat, merkt man ihr das zumindest nicht an, wenn man sich mit ihr zum Baustellenrundgang verabredet. Sie macht einfach weiter, bringt ihre Leute mit, geht ins Detail, erklärt Baupläne.

Sie könne Schwachstellen aufdecken und Probleme sehr direkt benennen, sagt eine, die mit ihr lange eng im Abgeordnetenhaus zusammengearbeitet hat. Remlinger habe wirklich Ahnung von den Untiefen der Schulbauoffensive, und sie, die auch im Haushaltsausschuss saß, könne mit Finanzen umgehen. Sollte sie am Donnerstag als Nachfolgerin des in Bezirksparlament abgewählten Stephan von Dassel zur Bezirksbürgermeisterin gewählt werden, ist das von Vorteil. Das Finanzressort in den Bezirken liegt stets beim Bürgermeister beziehungsweise der Bürgermeisterin.

Was Remlinger vielleicht manchmal fehlt, bei aller Beharrlichkeit und „Vision“, wie eine andere langjährige Wegbegleiterin sagt, ist Strahlkraft. Die Fähigkeit des großen Auftritts. Ihre Ausführungen wirken manchmal ein bisschen vernuschelt. Es fehlt, um ein gerade in Mode geratenes Wort zu benutzen, ein klein wenig Wumms. Fachlich mögen ihre Ideen mitreißend sein, aber das muss man eben auch erst mal verstehen. „Sie wird am Amt wachsen“, sagt die politische Wegbegleiterin.

„Sie wird den Bezirk nach vorne bringen“, sagt eine andere. Ihre Entscheidung, den ausgewiesenen Schulbauexperten Mark Rackles zu ihrem Chefberater für die kaputten Schulen in Mitte zu machen, sei so klug wie pragmatisch gewesen: Rackles hat zwar ein SPD-Parteibuch. Aber er hat bis 2019 als Staatssekretär in der Senatsbildungsverwaltung die Schulbauoffensive verantwortet. Eine rot-grüne Koalition auf Arbeitsebene, mehr der Sache als dem Parteibuch verpflichtet.

Ob sie den zerrütteten, vom Von-Dassel-Trauma geschüttelten Kreisverband der Grünen wieder einen kann? „Sie ist jemand, die auf Ausgleich bedacht ist, und das kann in dem neuen Amt sicher nicht schaden“, hatte der FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf der taz gesagt, als die Grünen Remlinger im September für das Bezirksbürgermeisterinnenamt nominierten.

Auf einen Realo folgt eine Reala

Klar ist: In ihrem neuen Job wird sie mehr Probleme auf den Tisch bekommen als Schulbau. Ein Verbot von Straßenprostitution, die Vertreibung von Obdachlosen am Leopoldplatz: Der Ultra-Realo von Dassel hatte sich mit seinen harten Positionen im linken Berliner Landesverband keine Freunde gemacht.

Und Remlinger, die Reala, was wird sie machen, wenn die eigene Position der Harmonie entgegensteht? Ist sie dann der Sache verpflichtet, wie bisher oft zu beobachten, oder doch dem Ausgleich? Man wird es sehen. So ihr denn Zeit bleibt, es zu zeigen – vermutlich steht Berlin im Februar ja die Wiederholung der Wahl von 2021 ins Haus.

Möglich wäre auch – nach jetzigem Umfragestand der Grünen –, dass Remlinger doch noch ein Mandat gewinnt und zurück ins Abgeordnetenhaus gehen könnte. Doch warum die Hebel, wirklich etwas zu bewegen, für eine Nebenrolle in einer linksdominierten Fraktion loslassen? Ginge sie wieder, wäre das eine verlorene Chance auf einen guten Neuanfang der Bezirkspolitik in Mitte.

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