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Bürgerliche Sittlichkeit einfach weggejuxt –betr.: „Szenen aus dem Dschungel“, taz vom 14.10.98

[...] Der Dschungel entstand aufgrund des definitiven Endes einer bürgerlichen Sittlichkeit, die, ökonomisch dysfunktional geworden, seit 1968 einfach weggejuxt werden konnte. Die Darstellung eigener Freiheit und Individualität wurde als Provokation einer als spießig denunzierten Konformität dramatisiert. Das hat die Geltung von Alltagsnormen unterhöhlt.

Heute ist Provokation ihrerseits alltäglich, uninteressant und konform geworden. Es geht nun darum, wieder allgemeinverbindliche Normen des öffentlichen Leben zu finden, die auf gemeinsame Wertbezüge verzichten können, ja im Gegenteil den Wertepluralismus voraussetzen, denn nur er wirkt befriedigend im Gegensatz zu Bemühungen um ein gemeinsames Werteethos. Es geht analog zur Straßenverkehrsordnung um eine Verkehrsordnung des öffentlichen Raumes. Wie jede Ordnung schränkt sie Freiheit ein, etwa die Freiheit von Hund und Halter, zugunsten eines sozialverträglichen Verhaltens. [Sozialverträgliches Verhalten auf deutschen Straßen? Na, vielleicht in Tübingen! In Berlin jedenfalls herrscht das Blech – trotz Straßenverkehrsordnung! Weit mehr als jede Hundekacke! d. sin]

Mögen einem das New Yorker Beispiel mit drastischen Strafen und die zugrundeliegende „Broken window“-Theorie auch zu rigide und law-and-order-mäßig erscheinen, so leisten diese Ansätze in der Praxis doch viel mehr als das hiesige Geschwafel um die „Zivilgesellschaft“, die alles dulden, alles können, alles wollen soll, keine Grenzen hat und damit auch keinen Inhalt. Rolf Hiemer, Tübingen

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