Bürgerinitiativenbündnis für Verkehrsreduzierung: Platz da
Die Planung eines gemeinsamen Straßenraumes für alle geht nicht voran. Weil die Politik bremst, will ein Bündnis aus Bürgerinitiativen die Entscheidungen vorantreiben.
Das Problem, da ist sich Frank Möller sicher, ist das Bauchgefühl. Dieses Gefühl, das manchmal einfach da ist und eine Kopfentscheidung verhindert. Möller steht mit zwei Hand voll Mitstreitern vor Haus sechs des Pankower Bezirksamts. Hier tagt der Verkehrsausschuss der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Die Ausschussmitglieder werden es nach Möllers Ansicht ganz stark mit dem Bauchgefühl zu tun haben. Denn auf der Tagesordnung, Punkt fünf, steht ein Konzept, das die Straßenverkehrsordnung auf den Kopf stellt: eine Straße, ganz ohne Schilder und Ampeln, mit Vorrang für Fußgänger.
Um den Kampf für solche Zonen erfolgreicher zu gestalten, haben sieben Initiativen ein Bündnis gegründet. Die AG "Rettet den Eckspielplatz" ist genauso mit dabei wie die "Verkehrs- und Lärminitiative in Blankenburg" und die "CARambolagen". Trotz unterschiedlicher Probleme in ihren Kiezen eint sie ein Ziel: Sie wollen erst die Bezirksverordneten und dann den Senat überzeugen. Zum Beispiel, dass mit solchen Zonen nicht nur Lärm und Dreck, sondern auch die Zahl der Unfälle zurückgeht. Das hat zumindest die Praxis im niedersächsischen Bohmte gezeigt.
Die ursprüngliche Idee, die den Zonen zugrunde liegt, ist das "Shared-Space"-Konzept. Das sind Straßen, in denen sämtliche Verkehrsteilnehmer den Raum ohne Verkehrsschilder, ohne Trennung in Fahrbahn, Geh- und Radweg gemeinsam nutzen. Die Bezirke und das Land Berlin diskutieren derzeit eher ein Shared-Space-Konzept für Anfänger: die Begegnungszone. Eine Einebnung von Gehweg und Fahrbahn soll es hier nicht geben. Stattdessen getrennte Wege, keine Ampeln oder Schilder, dafür Vorrang für Fußgänger. Der Vorteil: geringere Kosten als bei "Shared Space", weil die Straßen nicht komplett umgebaut werden müssen.
Bislang kämpft das Bündnis vor allem gegen das Bauchgefühl. Die Politiker, das zeigen die langen Diskussionen, sind eben auch nur Bürger. Da bleibt das Unwohlsein der Eltern, wenn ihre Kinder die gleiche Fläche nutzen sollen, auf der auch Au- tos fahren. Die Furcht der älte- ren Leute, die Straße ohne Ampeln überqueren zu müssen. Und natürlich die Vorbehalte der Autobesitzer, die weder Platz noch Geschwindigkeit missen wollen.
Eigentlich hätte es in Pankow längst so weit sein können. 2008 beauftragte die BVV das Bezirksamt, Begegnungszonen zu prüfen. Daraufhin kamen fünf Vorschläge für Straßen und Plätze, die geeignet erschienen. Seitdem diskutiert man im Verkehrsausschuss - das Bauchgefühl will nicht verschwinden.
Ähnlich lief es in Mitte: Hier verabschiedete die BVV Ende 2008 einen Antrag an das Bezirksamt, den Bezirk auf in Frage kommende Flächen zu prüfen. Vorschläge gibt es nach Angaben des Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, Jörn Jaath (Grüne), bis heute nicht. Und selbst wenn: "Problematisch ist derzeit vor allem, dass sich die Landesebene nicht dafür ausspricht."
Bezirk und Land teilen sich die Zuständigkeiten für Straßen und Plätze. Über Nebenstraßen dürfen die Bezirke selbst entscheiden, bei Hauptstraßen ist das Land zuständig. Also genau dort, wo es überhaupt sinnvoll sein könnte, Lärm, Abgase und Unfälle reduzieren zu wollen.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sieht sich nicht als Bremser: "Wir finden das Konzept sehr gut und unterstützen die Bezirke dabei", sagt Sprecher Alexander Abel. Der Pankower Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) hofft, dass die Fußverkehrsstrategie des Senats Begegnungszonen stärkt. In deren Rahmen sollten stadtweit drei Modellprojekte für gemeinsam genutzten Straßenraum ausgewiesen werden, sagt er. Die Senatsverwaltung bleibt vorsichtig: Bis zum Jahresende könne die Strategie so weit sein, dass es eine Senatsvorlage gibt.
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