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Bürger müssen Unternehmer werden

■ Der Freistaat Bayern wollte mit 100 Millionen Mark auch in den Dörfern und auf dem Land die Hemmschwelle zum Internet abbauen. Aber zum Jahresende läuft die staatliche Förderung der bayerischen Bürgernetze

Hektische Betriebsamkeit herrscht bei den 87 bayerischen Bürgernetzvereinen. An Silvester nämlich endet für sie die finanzielle Freistellung von Netzbenutzergebühren durch den Freistaat Bayern. Nun gilt es, den Sprung von der staatlichen Förderung hin zur selbstfinanzierten Heimat im Netz zu schaffen.

Mit dem im April 1996 gegebenen Startschuß für das bis Ende 1998 befristete Modellprojekt hatte sich die bayerische Staatsregierung das Ziel gesetzt, „die finanzielle und psychologische Hemmschwelle“ zur Nutzung des Internets so niedrig wie möglich zu halten. In einem ersten Schritt wurden im Frühjahr 1996 alle bayerischen Universitäten und Fachhochschulen vernetzt. Dann startete im April 1996 das Bürgernetz München. Über 100.000 bayerische Haushalte konnten seitdem vernetzt werden. Ende Oktober dieses Jahres verfügten die bayerischen Bürgernetze über insgesamt 106 Einwählknoten, über die sich die Nutzer zum Ortstarif ins Bayernnet einwählen können. Nach Auskunft des Dachverbands der bayerischen Bürgernetze mußten Anfang Dezember im ganzen Freistaat nur noch drei Gemeinden ohne Ortstarif auskommen.

Rund 100 Millionen Mark aus Privatisierungserlösen hat die bayerische Staatsregierung für die Förderung der neuen Kommunikationstechnologien zur Verfügung gestellt. Weil dieses Geld nun gestrichen wird, sorgen sich vor allem mitgliederschwache Bürgernetzvereine auf dem Land um ihr Überleben. Sie müssen die Jahresbeiträge für ihre Mitglieder verteuern. Das sind dann bis zu zehn Mark pro Anschluß und Monat, die zusätzlich zu den Telefongebühren von den Nutzern aufgebracht werden müssen.

Aber trotz des Preissprungs nach oben zahlen Bürgernetzmitglieder in der Regel weniger als bei kommerziellen Anbietern mit Stundentarifen. Ziel der Bürgernetzvereine sei es immer gewesen, „die Kosten auch für Randgruppen runterzuschrauben“, sagt Bertram Gebauer, der Vorsitzende des Dachverbands. Gebauer geht davon aus, daß bei verdoppelten Jahresbeiträgen etliche Bürger zweimal überlegen, ob sie ins Netz gehen sollen.

Das große Plus der Bürgernetzvereine ist jedoch ihr regionales Angebot. Sie überzeugen mit Übersichten über den Apothekennotdienst in der Region, die Öffnungszeiten der örtlichen Museen bis hin zu saisonalen Tips für den Landwirt oder Gartenfreund. Insgesamt sei es gelungen, so Gebauer, das proklamierte Ziel einer bürgernahen Kommunikationstechnik auf ein breites gesellschaftliches Fundament zu stellen, die Menschen an die neuen Dienste zu gewöhnen und ihnen die Scheu vor dem Ausprobieren der neuen Technologie zu nehmen. Dank der geringen Einstiegshürden habe das Projekt allen Interessierten auf demokratische und soziale Art und Weise die Möglichkeit eröffnet, sich mit dem Internet vertraut zu machen, meint denn Gebauer.

Gerade auch die erfolgreiche Einbindung unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen, wie beispielsweise der Landwirte, der Handwerker, Schulen und Gemeinden, während der Pilotphase habe dazu beigetragen, das neue Medium als eine Art Grundversorgung zukünftiger Kommunikationsstrukturen auch im ländlichen Raum zu etablieren. Durch das Pilotprojekt „bayern online“, das neben dem bayerischen Bürgernetz weitere 18 Projekte, unter anderem das bayerische Schulnetz, das Hochschulnetz und das Behördennetz, gefördert hat, sei die bayerische Staatsregierung sogar „zum Kristallisationspunkt“ für alle Online-Interessierten geworden.

In Bayern, lobt Gebauer, sei „eine deutschlandweit einmalige Plattform“ entstanden, aus der heraus nicht nur eine Vielzahl an sozialen Kontakten, Partnerschaften und Freundschaften – auch offline – entstand, sondern auch 25 neue Firmen gegründet wurden.

Nach Neujahr erwartet der Dachverbandsvorsitzende eine Ausrichtung auf die zahlungskräftige Nachfrage: „Es steht zu befürchten, daß sich die Bürgernetze stärker daran orientieren werden, was auf dem Markt verkauft werden kann.“ Eine „Umorientierung auf Marketing und Akquise für Zielgruppen“ stehe bevor, für Schulungen und Weiterbildung werde die Zeit dann immer knapper. Denn wer die Spielregeln von Angebot und Nachfrage außer acht lasse, gefährde seine Existenz. Nicht mehr die eigenen Wünsche und Ideen könnten deshalb am kommendem Jahr im Mittelpunkt der Bürgernetzarbeit stehen, sondern zunehmend auch der eigene Geldbeutel.

Genau das betrachten die Betreiber aber als ihren Vorteil. Sie dürfen das Internet ab Januar kommerziell nutzen, um auf ihre Kosten zu kommen. Und über den Wegfall der staatlichen Förderung freuen sich außerdem die bayerischen Zeitungsverleger. Da sie selbst als Internet-Anbieter auf dem vielversprechenden Markt Fuß fassen wollen, hatten sie die ehrenamtlich arbeitenden Bürgernetzvereine von Anfang an als unliebsame, weil engagierte Konkurrenz empfunden. Durch ihr dichtes Netz und ihre gewachsene Basis in der Gesellschaft werden die Bürgernetzvereine wohl auch ohne staatliche Förderung weiterhin fester Bestandteil auf dem Multimediamarkt bleiben. Manuela Knipp-Dengler

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