: Bündnisgrünes Quotenroulette
Der Grünen-Parteitag versucht heute die Quadratur des Kreises: Bei der Wahl der Vorstandssprecher müssen politisches Lager, Geschlecht und Ost- oder Westherkunft bedacht werden ■ Von Hans Monath
Bonn (taz) – Die Enttäuschung von Babelsberg ist schon absehbar: „Mindestens ein legitimes Interesse wird bei dem Wahlakt auf der Strecke bleiben“, prophezeite Vorstandssprecher Ludger Volmer mit Blick auf die heute beginnende Bundesdelegiertenversammlung der Bündnisgrünen. Denn beim Kampf um die beiden wichtigsten Parteiämter werden nicht nur Kandidaten und Kandidatinnen scheitern. Da der Anspruch der Frauen festgeschrieben ist und nur zwei Posten zu vergeben sind, muß entweder der Osten oder eines der beiden großen politischen Lager auf die Repräsentanz verzichten.
Die neuen Länder haben in diesem Spiel die schlechtesten Karten. Die bislang vorgeschriebene Ostquote bei den SprecherInnen, der Marianne Birthler ihr Amt verdankte, ist ausgelaufen. Auf seiner Tagung in Babelsberg hatte der Ost-Länderrat kürzlich keinen eigenen Kandidaten stark gemacht.
Im Vergleich zu dem Mecklenburger Kandidaten Klaus-Dieter Feige tritt der niedersächsische Ex- Minister Jürgen Trittin, mit deutlichem Profil an: Die Parteilinke fürchtet ein Übergewicht der von dem Realo Joschka Fischer dominierten Bundestagsfraktion gegenüber der Partei und will gegensteuern.
Mißtrauisch beobachtet etwa Ludger Volmer jede Tendenz von Fraktionsmitgliedern, gegen die Mehrheitsmeinung der Partei zu agieren. Der noch amtierende Bundesvorstand der Partei stellte sich quer, als die Fraktionsspitze ein eigenes Grundsatzreferat einrichten wollte, das politische Analyse und Strategien über das Tagesgeschäft hinaus erarbeiten sollte.
Trittin steht nicht im Verdacht, alte Flügelkämpfe neu inszenieren zu wollen, und ist deshalb über die Lagergrenzen hinweg akzeptiert. Allerdings wollen ihm die Realpolitiker die Hamburgerin Krista Sager an die Seite stellen, die nach dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit Voscherau im vergangenen Jahr als Lordsiegelbewahrerin grüner Identität gefeiert wurde. Der Hamburgerin allerdings könnte Christiane Ziller Stimmen abnehmen, die sich als Frauenpolitikerin und „Grenzgängerin“ zwischen Ost und West empfiehlt.
Für Sager gefährlich werden könnte auch der ausgefallene Wahlmodus, den Geschäftsführerin Heide Rühle nun vorschlägt: Der erste Wahlgang, in der Partei gewöhnlich für Frauen reserviert, soll geöffnet werden – eine sichere Bank nur für Jürgen Trittin. Fraktionsschwergewicht Fischer mahnt denn auch mit Blick auf die schwierige Ausgangslage: „Wer am Kurs der Integration rüttelt, der wird die Partei um Jahre zurückwerfen.“
Eine Antwort präsentieren muß der neue Vorstand auf die Frage, wie die Erosion der Partei im Osten gestoppt werden soll. Die KandidatInnen werden sich schon in ihren Reden festlegen und sowohl Ost- wie West-Delegierten überzeugen müssen. Daß die Ost- Schwäche auf Dauer die Gesamtpartei gefährdet, ist gemeinsame Überzeugung, auch wenn über die Analyse noch heftig gestritten wird.
Um dem Osten zu signalisieren, daß er nicht abgeschrieben wird, ist statt des Sprecherpostens nun eine neu zu schaffende Stelle beim Bundesvorstand im Gespräch. Der Ost-Länderrat selbst forderte einen vorgezogenen Umzug der Bundesgeschäftsstelle nach Berlin bis 1996. Mit der Forderung, die auch im Westen Freunde findet, verbindet sich bei einzelnen Realos auch der Wunsch, einen linken „Strömungsbunker“ innerhalb der Partei zu schleifen. Ludger Volmer dagegen hält den Umzugsplan für „völligen Quatsch“, weil damit „funktionierende Strukuren“ zerstört würden. Die Grenzen der „Ressourcenverlagerung“ in den Osten sieht Volmer dort, „wo die Funktionsfähigkeit der westdeutschen Organisationen gefährdet ist“.
Auch im Haus Wittgenstein reagieren viele allergisch. Zwar sind in der Bundesgeschäftsstelle der Bündnisgrünen nur etwa 25 Angestellte beschäftigt. Aber auch der Umzug dieser wenigen würde Schatzmeister Henry Seltzer viel Geld kosten, da in Berlin eine neue Parteizentrale aufgebaut werden müßte. Der schnellstmögliche Umzug würde „optimistisch geschätzt“ drei Jahre dauern, rechnet das Mitglied im Bundesvorstand vor, das sich wie Geschäftsführerin Heide Rühle ohne Gegenkandidat wieder zur Wahl stellt. Die räumliche Trennung von Bundestagsfraktion und Parteivorstand widerspricht in Seltzers Augen jeder Vernunft: „Wir sind doch kein Wanderzirkus.“
Im Wunsch nach einem „starken Vorstand“ scheinen sich alle Lager einig – und in der Hoffnung, daß die Wahl mit ihren absehbaren Enttäuschungen nicht wieder alte Gräben aufreißt. Noch-Sprecher Volmer gibt sich da optimistisch: „Heute hat eigentlich gar keiner mehr Interesse daran, die anderen in der Partei zu quälen. Man gönnt sich nur Gutes.“
Siehe Interview Seite 10
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