: Bündnis gegen Kanzler Kohl
■ Es gibt wieder eine Opposition in Deutschland
Wenn Helmut Kohl sich in Geschichtsdeutung versucht, fällt das stets schlicht aus. Die Demonstration am Samstag verglich er jüngst mit den Protesten gegen die Pershings Mitte der 80er. Nur weil die Regierung damals hart blieb, sei es zur deutschen Vereinigung gekommen. Und wie damals müsse er auch jetzt konsequent bleiben. Diese Deutung ist ebenso falsch wie ideologisch. Falsch, weil sie den komplexen Prozeß der Selbstentmachtung der Eliten des Ostblocks auf einen Grund reduziert: die Hochrüstung des Westens. Und ideologisch, weil es ein absolutistisches Selbstbild offenbart. Hier der mit historischem Weitblick ausgerüstete Kanzler – dort das Volk, eine törichte Kinderschar, die das Notwendige nicht erkennt und zu ihrem Glück gezwungen werden muß.
Der DGB hat sich, ein wenig trotzig, auf den Weg vom gescheiterten Bündnis für Arbeit zum Bündnis gegen Kohl gemacht. So mag es in Bonn auch viele kämpferische Posen ohne Wert gegeben haben. Trotzdem: Dort ging es um anderes als DGB-Lobbyismus und Schützenhilfe für die matte SPD. Daß kein SPD-Politiker, sondern eine Bischöfin redete, war ein klares, kluges Signal. In Bonn präsentierte sich unvermutet eine zivilgesellschaftliche Opposition. Gestützt wird diese Bewegung von fast allen, die das Gleichheitsideal nicht auf dem Altar ökonomischen Sachzwanges geopfert sehen wollen.
Ein eher trauriges Bild bietet dabei die seit 1989 zerzauste Linke. Die Traditionslinke agitiert seit ehedem gegen die „Rotstiftpolitik“, auch als die noch Chimäre war. Nun, da in der Tat der Einstieg in den Thatcherismus ansteht, wirken ihre Slogans verbraucht. Und von der geläuterten Exlinken, mißtrauisch gegen die eigene Propaganda von gestern, hört man oft, daß „wir halt sparen müssen“. Dieses große Wir ist freilich gerade im Moment ein Trick der Sparkommissare: Kulisse für die Umverteilung von unten nach oben.
Kohl ist ein Meister der Selbstinszenierung. Das zu unterschätzen hat sich schon oft gerächt. Doch ob er sich auch in der Sparfrage als Kanzler des Wir wird präsentieren können, ist seit Samstag nicht mehr so sicher. Wenn sich, was in Bonn begann, zu einer Bewegung des republikanischen Wir entwickelt, die nicht bloß Einzelinteressen bedient, wird es eng. Sogar für Kohl. Stefan Reinecke
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