Büchner-Preis: Nachhaltiges Tasten
Ein Lebensabenteuer rundet sich: Walter Kappacher bekommt den Georg-Büchnerpreis.
Es ist irgendwie nett und auch rührend, in der Homepage von Walter Kappacher herumzulesen. Eine Biografie in knappen Stichworten findet sich darauf; wer einmal Lust verspüren sollte, die ehrwürdige Tradition des Künstlerromans zu revitalisieren, der findet hier in Skizzenform beinahe klassisches Material. Freundschaften - mit dem Autor Wladimir Tschelistscheff, dem Bildhauer Toni Schneider-Manzell, dem Regisseur Peter Keglevic, mit Erwin Chargaff - sind darin ebenso sorgfältig verzeichnet wie die künstlerischen Entwicklungsschritte; beides scheint in diesem Leben gleich wichtig zu sein. Mit dem Büchnerpreis rundet sich das jetzt alles ins Erfolgreiche.
"1938 - in Salzburg geboren und aufgewachsen", so steht es da. Danach verzeichnet die Biografie Lehr- und Wanderjahre. Motorradsport, Brotberufe, kurz Besuch einer Schauspielschule. Dann, 1960: "Als bestimmendes Interesse trat immer mehr das Lesen und Schreiben in der Vordergrund." 1966 ein dramatisches Jahr: "In Berlin als Reisebüro-Kaufmann gearbeitet. Eine erste Fassung des Romans ,Die Werkstatt' geschrieben und vernichtet." So eine Szene darf in keinem Künstlerroman fehlen.
Kappacher versucht es noch einmal anders, schickt Kurzgeschichten an Martin Walser. Walser, der in solchen Förderungen ja sehr treu ist, hat dann immer wieder für ihn geworben. Von ihm stammt auch die Charakterisierung, die bis heute gern auf Kappachers Romane angewendet wird: "Prüfung einer Lebensart". Sie soll das Stille, Tastende der Bücher einfangen. Von der Beharrlichkeit, aber auch der untergründigen Spannung, mit der Kappacher das Lebensabenteuer des Schriftstellerdaseins betreibt, kündet dann ein in seiner Betulichkeit vibrierender Satz: "1978 - Nach dem vierzigsten Geburtstag den Versuch gewagt, als freier Autor zu leben."
Regelmäßig erscheinen fortan Romane und Erzählungen. Aber es gibt auch Verlagswechsel und andere Zeichen, dass Kappacher nicht über den Status eines Geheimtipps hinauskommt. Einige Preise. Aber ein großer Kritikererfolg wurde erst 2005 der Toskanaroman "Selina oder das andere Leben"; der aktuelle Roman "Der Fliegenpalast" wurde in der FAZ vorabgedruckt. Zwei Stellen aus der Homepage sind noch interessant: "1992 - Die Mutter, mehr oder weniger ein Pflegefall, jahrlang betreut. 1996 - Tod der Mutter." Und: "2003 - Begonnen in einer Bucht bei Mattsee beinah täglich das Schilf zu fotografieren." Ein ganzheitlicher Lebensentwurf schimmert da durch. Die ganze Biografie hat etwas von einem klassischen Bildungsroman.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die den Büchnerpreis vergibt, scheint derzeit sowieso nach werthaltigen, nachhaltigen Schreibansätzen zu suchen. Das Vorne-dran-Sein ist ihr nicht so wichtig, der Vorwurf des Konservatismus schreckt sie (wie die Entscheidung für Martin Mosebach vor zwei Jahren zeigte) keineswegs. Ein bisschen, hat man den Eindruck, ist das inzwischen so wie bei der katholischen Kirche: Anstatt sich um Öffnung zu bemühen, sucht man den festen Grund für die eigene Institution. Vielleicht gibt es deshalb derzeit den Trend, authors authors auszuzeichnen - Schriftsteller, die vor allem im Literaturbetrieb wirken. Mit Walter Kappacher hat man in diesem Rahmen immerhin einen interessanten Kandidaten gefunden. Am 31. Oktober wird der Preis in Darmstadt verliehen.
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