piwik no script img

■ Bücher.kleinIgnatz Bubis

Er eilt von einem Termin zum anderen – der Vorsitzende des Zentralrats der Juden: „Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, sagt er. Seit ein Landtagsabgeordneter in Rostock ihn fragte, ob seine Heimat nicht vielmehr Israel wäre, spricht er diesen Satz immer häufiger. Daß er das muß, sagt viel aus über das Verhältnis von deutschen Juden zu deutschen Nichtjuden im Jahre 48 danach.

Die Worte wirken wie ein trotziges Bekenntnis. Edith Kohn, einer katholischen Journalistin von der Saar, ist es gelungen, den vielbeschäftigten Bubis zu einem langen autobiographischen Gespräch zu überreden. Weil die 68er Bewegung nicht spurlos an ihr vorbeigegangen ist, sie gar im Frankfurter Häuserkampf engagiert war, gelang ihr etwas ganz seltenes. Nämlich, durch hartnäckiges, ungläubiges, teilnehmendes, widersprechendes und insistierendes Fragen Ignatz Bubis dem Leser sehr nah zu bringen. „Sie sind der klassische Selfmademan“, sagt Edith Kohn nach einem langen Gespräch über seinen Aufstieg vom Schwarzmarkt- zum Edelmetallhändler zum Millionär, „dazu braucht man doch Chuzpe, oder?“ „Wieso“, fragt Bubis zurück, „allenfalls Verstand.“ Und er hält ihr vor, daß sie sich heute immer noch nur an die besetzten Häuser erinnert, deren „Spekulanten“ Juden waren. Dies Phänomen von selektiver Erinnerung bringt ihn zurück zu seinem eigentlichen Anliegen: „Normalität“ zwischen deutschen Juden und deutschen Nichtjuden, keine Unterscheidung zwischen „wir“ und „die“, dies aber mit dem Wissen, was im Namen Deutschlands geschehen ist. „Ich trete nicht als Opfer auf, ich verlange nichts“, sagt er. Und an anderer Stelle: daß nicht die Antisemiten ihn störten, sondern die „Wohlmeinenden... die Bestmeinenden“ und die „Indifferenten“, die Juden immer noch als „Fremde“ wahrnehmen. Der eigentliche Grund, warum er sich 1985 so gegen das Fassbinder-Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ engagierte.

Die eindringlichsten Kapitel des Buches sind jene über seine Jahre im Ghetto Deblin und den wilden Schwarzmarkt bis Ende der 40er Jahre. Bubis erzählt Kohn während einer Reise nach Polen Details über das Lagerleben, seine Arbeit als Postbote und den Judenrat – Details, die bisher nicht einmal seine engsten Freunde kannten. Nur als sie nach seinem Vater fragt, der in Treblinka ermordet wurde, wehrt er sich. „Das ist ein Verhör“, reagiert er scharf, „eine kriminaltechnische Untersuchung.“ Und Edith Kohn entschuldigt sich, denn „Neugier und Entsetzen sind mit mir durchgegangen“. Ein weiterer Beleg, daß Normalität noch nichts anderes ist, als der Wunsch danach. aku

„Ignatz Bubis – Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Ein autobiographisches Gespräch mit Edith Kohn“. Kiepenheuer&Witsch, 1993, TB, 16.80DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen