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■ Bücher.kleinOhne die „ethnische“ Brille

Über 50 Bücher sind seit dem Beginn des Krieges auf dem Balkan 1991 erschienen – und fast alle gehen von der „ethnischen“ These aus, daß ein friedliches Zusammenleben in Jugoslawien nur unter der Diktatur möglich war. Daß aber hinter dem „Krieg in Jugoslawien“ weit mehr steckt als unterschiedliche Kulturen, Religionen oder Sprachen, belegte schon die im Februar 1993 erschienene erste Auflage des gleichnamigen Bandes von Martin Jung und Tobias Pflüger. Auch in der zweiten, aktualisierten Version ist es Hauptanliegen der Autoren, Begriffe wie „Volk“ oder „Ethnie“ kritisch zu hinterfragen und zu bewerten. Und angesichts des akribisch ausgewerteten Materials bleibt vom „ethnischen Konflikt“ nicht viel übrig. Es geht vielmehr um konkrete Konfliktparteien in und außerhalb des zerfallenen Staates: die politischen Klassen in den ex- jugoslawischen Republiken und Regionen, ihre Führer und, nicht zuletzt, die „Friedensstifter“ der internationalen Gemeinschaft.

Jung und Pflüger ist das Kunststück gelungen, die Interessen der verschiedenen am Geschehen auf dem Balkan beteiligten Gruppen eindrücklich zu beleuchten. Unter der Detailversessenheit der Autoren – der 1971 geborene Student Jung etwa hat sich selbst Serbokroatisch beigebracht, um nicht nur auf fremdsprachige Quellen angewiesen zu sein – hat allerdings die Verständlichkeit des Buches streckenweise gelitten. Doch auch noch so genaue Detailkenntnis entbindet nicht davon, im Fall Ex- Jugoslawien auch Position zu beziehen.

Dies wird im letzten Abschnitt, in dem beide Autoren unter der Überschrift „Was kommt nach dem Krieg“ die Perspektiven des ex-jugoslawischen Raumes diskutieren, deutlich. Denn die Gemeinsamkeiten des pazifistischen Spektrums der BRD gehen über die Ablehnung einer militärischen Intervention letztendlich nicht hinaus. Während Jung angesichts der Tatsache, daß die Serben, Kroaten, Muslime und so weiter in den über 40 Jahren vor Beginn der Kämpfe weitgehend frei von nationalem Zwist zusammengelebt hatten, eindeutig für eine Re-Integration des gemeinsamen Staates eintritt, bleibt Pflüger skeptisch; er sieht im „Krieg in Jugoslawien“ trotz allem auch den Ausdruck alter, „nationalistischer Konflikte“, die im titoistischen Jugoslawien „unter der Decke weitergekocht“ hätten. Zudem verweist der RIB-Vorstand auf die umliegenden Staaten, die aufgrund des sich seit 1989 verschärfenden Gegensatzes zwischen europäischer Peripherie und den Zentren keinerlei Interesse an einem stabilen, vereinigten Staat im Südosten des Kontinents haben könne.Rüdiger Rossig

Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (Hrsg.), Martin Jung/Tobias Pflüger: „Krieg in Jugoslawien“. Martin-Jung-Verlag, Tübingen, 194 S., 19,80 DM

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