Bücher für Randgruppen: Schuld und Sünde
Von der Klapper- zur Midgardschlange: Alles, was da kreucht und fleucht
Vom Schweizer Birkhäuser Verlag gibt es eine ganze Reihe schöner Bücher, die nicht nur angenehm zu lesen, sondern auch ebenso angenehm zu betrachten sind. Sehr ansprechend, geradezu edel glänzen die Fotos in dem jüngst erschienenen Bild-Textband „Schlangen“, aufgenommen von Michael und Patricia Fogden in achtzehn Ländern auf sechs Kontinenten. Er spricht Spezialisten ebenso an wie den unbedarften Laien, also die große Mehrheit.
Der Autor Greene schlängelt sich in seinem Werk durch alle möglichen Bereiche, umkreist die Etymologie einer Schlange mit dem hübschen Namen „Buschmeister“, lässt sich treiben wie die Plättchenseeschlange, also passiv auf der Oberflächenströmung, oder stellt sich dem Angreifer wie die Grubenotter. So entlarvt er den Vogelfreund Alexander Skutch als dümmlichen, fanatischen Schlangenhasser. Von den Raubvögeln (Es gab zwar Raubritter, aber es gibt keine Raubvögel. Es sind Greifvögel! d. sin) bevorzugte Skutch eindeutig den Lachhabicht – der sich wohl nicht gerade zufällig von Schlangen ernährt.
Schlangen sind für Skutch asoziale Wesen ohne „elterliche Fürsorge“. Zum Kuckuck mit dem dummen Skutch! Wir erfahren in Greenes Schlangenbuch, dass es lebend gebärende Schlangen genauso gibt wie fürsorgliche, die sich freundlich um ihren Nachwuchs ringeln.
Nein, Schlangen sind wahrlich keine Sympathieträger. Zwar symbolisierten sie im alten Griechenland Heilung, aber schon im Schöpfungsmythos des christlich-abendländischen Kulturkreises werden sie mit Furcht, Ekel, Verachtung und natürlich Sünde verbunden. Und selbst der Systematiker Linné nennt sie „falsche, verabscheuungswürdige Wesen“.
Über 2.700 Schlangenarten kriechen auf der Erde herum, und beileibe nicht allen geht es so gut wie der Braunen Baumschlange in Guam, die in den Siebzigerjahren zehn endemische, nur auf dieser Insel vorkommende Waldvogelarten restlos vertilgt hat. Wofür allerdings nicht direkt die Schlange verantwortlich ist, sondern der Mensch, der das Reptil dort eingeschleppt hat. Greene liebt insbesondere Giftschlangen, eine Zuneigung, die er gar nicht restlos rational erklären kann oder möchte. Auch das ist angenehm bei der kurzweiligen Lektüre der Texte: Wissenschaft und Kunst ergänzen sich auf anregende Weise. Es geht nicht nur um biologisches, sondern gleichermaßen um ästhetisches Verstehen. So fehlt diesem Buch denn auch die penetrante Gewissheit, die oft wissenschaftlich-naturkundlichen Werken eigen ist.
Alte, überholte Erklärungsmuster werden von Greene genauso behandelt und untersucht wie neue vorgestellt. Wissenschaftliche und so genannte Trivialnamen finden sich im Register einträchtig nebeneinander. Die Schwarze Kopfpython würde er eigentlich lieber als Teenagerpickelschlange bezeichnen, verrät der Autor und berichtet fasziniert von einer mutierten, zweiköpfigen Schwarzen Erdnatter, die wegen ihrer widerstreitenden Konzepte von Instinkt und Verstand vom Halter IM (= Instinct and Mind) genannt wurde. Die Überlegenheit des einen oder anderen Kopfes wechselte im Laufe von mehreren Monaten mehrfach.
Das klingt so schaurig wie die Beschreibungen der Midgardschlange, dem Ungeheuer aus der nordischen Mythologie. Diese und andere Monster – darunter das Ungeheuer von Loch Ness – untersucht und dokumentiert der Meerestierexperte und Maler Richard Ellis in seinem Seeungeheuer-Nachschlagewerk aus dem gleichen Verlag. Er zeigt, wie menschliche Schöpfungskraft aus Riesenseeschlangen und -kraken gefährliche Feinde von Schiffen und ihren Besatzungen macht, schreibt eine spannende Kulturgeschichte des Monströsen, Unheimlichen, das gelegentlich mit dem Kopf oder dem Tentakel aus dem unergründlichen Meer taucht.
Wolfgang Müller
Harry W. Greene: „Schlangen“. Birkhäuser Verlag, Basel. 354 Seiten mit 215 Farbfotos, 98 DM Richard Ellis: „Seeungeheuer“. Birkhäuser Verlag, Basel. 388 Seiten mit 150 Schwarzweißabbildungen, 58 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen