■ Buchvorstellungen: Ein Gefecht mit Platzpatronen
Zwei Bücher, ein Gedanke: Die liberale Gesellschaft hat ihre Feinde – was sich ja kaum verleugnen läßt. Die liberale Gesellschaft, das ist Amerika, ein robuster Individualismus, ein beherzter Egoismus und jene unsichtbare Hand, die in der umfassenden Ökonomie des Lebens in Freiheit das Beste für jeden und damit für alle hervorteibt. Ihre Feinde, das sind Frankreichs Neue Rechte und unsere Neonationalisten, Bocksgesänge und Asterix, Ökopaxe und Kommunitaristen, Horkheimer und Schönhuber, Adorno und Louis Farrakhan.
Das Thema ist gut und hat Relevanz. Eine besonnene Geschichte des Antiamerikanismus ist nach wie vor ein Desiderat, zur deutschen Ideologie und ihrem Verhältnis zum Westen wurde zwar schon viel, aber keineswegs alles gesagt. Und das Verhältnis von Gesellschaft und Gemeinschaft, Moral und Ethik, von Gerechtigkeit und gutem Leben ist ohnehin das Megathema der Sozialtheorie. Aber hier wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet!
Herzinger und Stein predigen wider die „Endzeit-Propheten“ im Stile einer Endzeitprophetie, sie identifizieren das apokalyptische Denken mit dem Antiwestlertum und verschweigen, daß es die amerikanische Literatur war, die die wohl reichste apokalyptische Tradition gestiftet hat, sie wittern Antiliberalismus, wo immer die Frage des Gemeinwohls aufgeworfen wird, als ob nicht die Bändigung des Individualismus und die Vermeidung von „factions“ seit den Federalist Papers und Tocqueville ein Generalthema des liberalen Denkens sei.
Die Provokation ist Attitüde, Entdifferenzierung das analytischen Prinzip, Unterstellung das rhetorische Verfahren. Wer's nicht glaubt, lese zum Beispiel nach, was Herzinger in seinem Solo „Die Tyrannei des Gemeinsinns“ zu Michael Walzer, Charles Taylor, vor allem aber zu Hans Joas zu sagen weiß. Wen sich Herzinger vor die Flinte nimmt, ist stets ein Trickser, ein Taschenspieler, ein Priester und Gläubiger; einer, der Schimären nachrennt und sich in Scheinlogiken und Argumentationszirkeln verfängt. Aber, keine Sorge, unser Schütze schießt mit Platzpatronen, er ballert so laut wie vergeblich. Das Bekenntnis zur Spaßgesellschaft lebensfroher Egoisten klingt am Ende weder spaßig noch lebensfroh, eher – „Kauft elektrische Zitruspressen!“ – nach zuviel Magensäure. Dietmar Schirmer
Richard Herzinger/Hannes Stein: „Endzeit-Propheten oder Die Offensive der Antiwestler. Fundamentalismus, Antiamerikanismus und Neue Rechte“. Rowohlt Verlag (rororo aktuell 13561), Reinbek 1995, 250 Seiten, 14,90 DM
Richard Herzinger: „Die Tyrannei des Gemeinsinns. Ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft“. Rowohlt Berlin, 1997, 221 Seiten, 36 DM
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