Buchmessern in Frankfurt: Von Zukunft reden
Schöne Auftritte: Daniel Cohn-Bendit etwa mit seinen Europa-Visionen oder der Österreicher Wolf Haas mit seiner „Verteidigung der Missionarsstellung“.
Kennen Sie den?: „Wer gebildet ist und Übung hat im Ausdenken von Argumenten, tappt noch sicherer in die Falle der Irrationalität, weil er mühelos zahlreiche Begründungen für sein Bauchgefühl erfinden und selbst an sie glauben wird.“
Tja, auf diese Weise wollen die Autoren Sascha Lobo und Kathrin Passig im Internet-Urheberrechtsstreit vermitteln. Ihre neue Schrift „Internet. Segen oder Fluch“ (Rowohlt Berlin) unterteilt die Welt in Skeptiker und Optimisten.
Selbst wollen sie natürlich in der Mitte sein und bewegen sich über 300 Seiten auf diesem Niveau: „Keine Seite will zugeben, dass die andere vielleicht Recht hat.“
Wie nach Internet und digitaler Revolution das Urheberrecht angepasst und als Grundlage einer demokratischen Kulturproduktion verteidigt werden könnte, dazu liefern sie aber keine neuen Erkenntnisse.
Ähnlich wolkig hört es sich an, wenn Messedirektor Juergen Boos über die Zukunft der Frankfurter Buchmesse spricht. Schönstes Marketingspeech, wenn er von der „Messe der Inhalte“ redet. Dass die Zukunft der Branche multimedial sein wird, wer wollte ihm da widersprechen.
Um die Inhalte geht es
Was sich im Streit über Bezahl- und Nichtbezahlsysteme, die potenzielle Abschaffung einer ausdifferenzierten Branche durch wenige hegemonial auftretende neue Weltkonzerne verbirgt, dazu hört man dann meist schon etwas weniger.
Doch noch dominiert eindeutig das gedruckte Buch die Messe, und so man will, findet man auch zu jenen Inhalten, über die zu sprechen lohnt.
So konnte man zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit in Frankfurt begegnen, der immer noch – mehr Mensch als (Polit-)Maschine – mit erfrischenden Humor und subjektiver Angriffslust sein zusammen mit Guy Verhoftstadt verfasstes Manifest „Für Europa“ (Hanser Verlag) vorstellte.
Europa-Visionen
Die Vereinigten Staaten von Europa bräuchten keine 27 Botschaften in Kuala Lumpur, meint Cohn-Bendit. Und eine einzige Armee täte es auch. Das gesparte Geld könnte man in Bildung investieren oder für die Entschuldung Griechenlands verwenden.
Aber Journalisten seien ja genuin Masochisten, feixte der 1945 geborene Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament. Statt über mögliche Visionen zu reden, würden sie lieber jeden Tag von neuen aufstöhnen: Oh Gott ist diese Welt grässlich.
Sein Buch erscheint gerade passend zur etwas merkwürdigen Vergabe des Friedensnobelpreises an die Europäische Union.
Authentisch und frech präsentierte sich auch Wolf Haas. Auf dem Blauen Sofa lachte er mit Moderatorin Luzia Braun um die Wette. Man wollte nicht glauben, dass Haas solche Auftritte eher unangenehm sind.
Der Roman zum Schmunzeln
Der österreichische Schriftsteller und Erfinder der Brenner-Krimis hat mit „Verteidigung der Missionarsstellung“ (Verlag Hoffmann und Campe) einen Roman geschaffen, bei dem nicht nur der Titel zum Schmunzeln Anlass gibt.
Haas lässt seinen Protagonisten Benjamin Lee Baumgartner in „allerhöchster Kussunwahrscheinlichkeit“ vor sich hinhirnen, um ihn dann doch nur sagen zu lassen: „Ohne Zwiebeln bitte, wenn es geht.“
Ein tolles Buch, neben Reinald Goetz’ „Johann Holtrop“ (Suhrkamp) das vielleicht Originellste des Herbstes.
„Sie liebte die Zuspitzung“, beginnt eine Erzählung der berühmten Neuseeländerin Katherine Mansfield. Goetz und Haas ebenso, wenn auch mit jeweils ganz unterschiedlichen Mitteln.
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