Buchmesse in Kroatien: Die alte und die neue Intelligenzija
Pula war ein kulturelles Zentren im ehemaligen Jugoslawien. Das Literaturfestival zieht Dissidenten, Avantgardisten und Antinationale an.
Pula, an der südlichen Spitze der Halbinsel Istrien, ist selbst für Besucher aus Kroatien mitunter eine halbe Tagesreise entfernt. Trotzdem hat die 7.000 Jahre alte Stadt, in der einst Kaiserin Sisi den größten Militärhafen der österreich-ungarischen Monarchie errichten ließ, so gut wie alle europäischen Herrscher gesehen. Wegen ihrer strategisch hervorragenden Lage in der Adria wurde Pula von Langobarden, Franken und Venetiern, von Napoleon, Hitler und Tito erobert.
„Ohne die Buchmesse wäre Pula heute ein Provinzkaff“, meint Vedran, der die internationalen Gäste des Literaturfestivals in Pula zu den Flughäfen fährt. So ähnlich hatte das auch James Joyce gesehen, der 1904 hier ein paar Monate lang Englisch unterrichtete. Er nannte Pula ein „gottverlassenes Nest, das in der Adria eingeklemmt ist“.
Das war lange vor Titos sozialistischer Föderation Jugoslawien, die alles förderte, womit man den kapitalistischen Westen davon überzeugen konnte, dass man besser war als er. Und dazu gehörte der gesamte Bereich von Kunst und Kultur. Noch in den 1980er Jahren war die heute knapp 57.000-Einwohner-Stadt Pula eines der kulturellen Zentren Jugoslawiens. Übrig geblieben ist davon das Filmfestival, das seit 1954 im gewaltigen römischen Amphitheater der Stadt stattfindet.
„Leipzig am Meer“
Die Buchmesse existiert noch nicht so lang. Und eine Buchmesse im engeren Sinne ist sie auch nicht. Darauf verweist schon ihr Name: „Sa(n)jam Knjige u Istrij“. Was ohne Klammer „Buchmesse in Istrien“ bedeutet, erhält mit dem „n“ in der Klammer die Bedeutung „Ich träume von Büchern in Istrien“.
Wie in einem mediterranen Traum fühlt man sich auf diesem Literaturfestival allemal. Das Festival findet im österreichischen Marineoffizierscasino statt, ein Prachtbau im Stil des Wiener Historismus mitten im Stadtzentrum, umgeben von römischen Tempeln, venezianischen Villen, Cafés, Restaurants, Galerien, Bars und Clubs, in denen Autoren und Verleger, Übersetzer, Journalisten und Veranstalter trinken, essen, lachen, feiern und diskutieren.
Das Festival wurde erst 1995, nach dem Zerfall Jugoslawiens, gegründet, ist aber ein Ereignis, bei dem der Glamour, die Weltoffenheit, der Geist und der Humor der intellektuellen und künstlerischen Avantgarde der ehemaligen Föderation wieder aufblühen. Das ist seiner Direktorin Magdalena Vodopija zu verdanken, die mit einem vor allem aus Frauen bestehenden Team die auch als „Leipzig am Meer“ bezeichnete kleine Messe organisiert.
Vodopija ist ein Kind der kulturellen Blütezeit Jugoslawiens, Tochter des legendären Boško Obradović, bekannt vor allem als Gründer und Texter von Atomsko Sklonište (Atombunker), die er mit seinen Antikriegstexten zu einer der populärsten Rockbands des Landes machte. Im August 1991 trat die Band noch auf einem Festival in Serbien auf, obwohl der Krieg längst begonnen hatte.
Nicht unterkriegen lassen
Mit seiner Tochter hatte der 1997 verstorbene Obradović 1990 den kleinen Buchladen „Castropola“ im Zentrum Pulas eröffnet, der nach Kriegsbeginn zum Treffpunkt der dissidenten, antinationalistischen Intellektuellen und Künstler in Istrien wurde. In den engen Räumlichkeiten entstand die Idee einer Buchmesse, um all jene zusammenzubringen, die sich von Krieg und Nationalismus nicht hatten unterkriegen und vereinnahmen lassen.
Das „Pressezentrum“ der Buchmesse ist ein kleiner Salon im Casino. An ein paar kleinen Tischen sitzen Autoren, Verleger, Moderatoren, Übersetzer. „Das ist unser Familientreffen“, erzählt die immer lachende, alle herzlich umarmende Magdalena Vodopija. Sie versammelt die Intelligenzija des alten Jugoslawiens und bringt sie mit den jungen Literaten und Künstlern der Region zusammen.
Die Literaturszene war in fast allen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens von Anfang an diejenige, die sich am meisten Mühe gab, wenn es darum ging, nationale Grenzen zu überwinden. Das ist bis heute so geblieben.
Neben prominenten Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in Pula die Premiere ihrer neuen Romane feiern, sind Gäste aus Spanien, Portugal, Brasilien und Angola angereist. „Transatlantik“ ist in diesem Jahr das Motto. Literatur, die von Flucht und Vertreibung, Kolonisierten und Kolonisierern erzählt, das Schwerpunktthema. Regionaler Schwerpunkt das Nachbarland Slowenien.
Am Eröffnungswochenende überraschte die slowenische Buchagentur mit einem Event in die Kirche Sveta Srca. Auf dem Kirchenboden: ein Manifest der slowenischen Band Laibach. An den Seitenwänden: Plakate der Band, angeordnet wie ein Kreuzweg. Im Altarbereich: Keyboards und Mikros. Die slowenische Kultband spielte eine Messe, wie sie diese Kirche noch nie erlebt hat.
„Ich bin Kind eines Rock ’n’ Rollers und ein Kind von Leidenschaft und Schönheit. Das ist mein Erbe und ein Traum“, erzählt Magdalena Vodopija. Beinahe wäre ihr Traum geplatzt. Seit im Januar der offen rechtsradikale Zlatko Hasanbegović als Kulturminister eingesetzt wurde, hat die linksliberale Kulturszene Kroatiens mit drastischen Budgetkürzungen zu kämpfen.
„Einen Großteil des Budgets haben wir aus privaten Spenden finanziert“, sagt Vodopija. 200 Autoren, 300 Verlage, 80.000 Besucher – das sind die Zahlen der kleinen Messe aus dem letzten Jahr. Trotz der politischen Diskriminierung rechnet Vodopija auch dieses Jahr mit ähnlichen Zahlen.
Kollektive Erinnerung
Auch der Verleger des bedeutendsten kroatischen Verlags für Belletristik, Fraktura, erzählt von drastischen Kürzungen. „Aber wir schaffen auch das“, sagt er lachend auf Deutsch. In dieser Szene will niemand Opfer sein. Es ist der aufrechte Stolz von Leuten, die schon einmal einen nationalistischen Taumel überlebt haben und sich von debilen Idioten nicht wieder alles kaputt machen lassen wollen.
Zu den debilen Idioten zählt der populäre Autor Senko Karuza auch die Touristen. Dabei scheint die Biografie des Autors selbst wie eine Erfindung aus einem Touristenführer: Schriftsteller, Insulaner, Umweltaktivist und Restaurantbesitzer. Und er sieht auch so aus: Wildes weißes Haar und ein wilder weißer Bart umrahmen sein braun gegerbtes Gesicht.
Der 57-Jährige stellt auf dem Festival seinen neuen Roman vor, der von seiner Insel Vis und deren Bewohnern handelt, die sich zu Trotteln der Tourismusindustrie machen. „Die kollektive Erinnerung geht verloren. Die Leute reden nur noch darüber, wie sie mehr Betten und mehr Cevapcici verkaufen können“, erzählt Karuza.
Pula ist von tiefen Buchten zerfurcht, die durch bewaldete, hügelige Halbinseln voneinander getrennt sind, auf denen 26 Forts liegen, noch heute Hauptsitz der kroatischen Kriegsmarine. „Die größte Integrationskraft in Jugoslawien war das Militär. Den Militärdienst mussten die Soldaten außerhalb ihrer Heimatrepubliken leisten“, erzählt Karuza. Diese Aufgabe leistet das Militär nicht mehr.
Dafür organisiert Magdalena Vodopija die kollektive Erinnerung. Nicht im Sinne einer selbstreferentiellen Nostalgie. Sondern im Sinne einer integrativen Zukunft.
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