■ Buchkultur: Fremdenfreund, Fremdenfeind
Soziale Mißstände führen nicht zwangsläufig zu Fremdenhaß. Gerade auf kommunaler Ebene haben Politiker einen zentralen Einfluß auf das gesellschaftliche Klima. Sie bestimmen maßgeblich, ob die fremdenfeindliche Einstellung vieler BürgerInnen in offene Gewalt umschlägt oder nicht. So die zentrale These des Buches „Ich will mich nicht daran gewöhnen“, Fremdenfeindlichkeit in Oranienburg.
Die drei Autoren – zwei Diplomanden und ein Professor der Politologie – haben ein Porträt des Altkreises Oranienburg bei Berlin gezeichnet. Grundlage sind Interviews, Kreistagsprotokolle, teilnehmende Beobachtung sowie Auswertung der Lokalpresse.
„Für mich sind Fremde wie Ufos. Ich habe Angst vor ihnen“, sagt ein 16jähriger. Und der Bildungsdezernent des Kreises schreibt: „Zunächst einmal gibt es um Zehnerpotenzen unvergleichlich mehr Gewalt von Ausländern gegen Deutsche als umgekehrt.“ Der Landrat sekundiert: „Wer in unserem Asylbewerberheim hungert, ist zu faul zum Kauen.“
Die Verwaltung macht den Asylbewerbern das Leben schwer: Sie dürfen nur mit Lebensmittelkarten in einem Laden einkaufen, wo die Preise extrem hoch sind. Eine Feier mit Kindern wird aus „Sicherheitsgründen“ untersagt. „Jedesmal muß man sich etwas anhören: Neger oder raus hier oder so, besonders hier in Oranienburg“, sagt ein Mann aus Togo.
Doch die wenigen Ausländer finden auch Unterstützung, insbesondere bei der evangelischen Kirchengemeinde. Eine Arbeitslosengruppe hat mehrere Asylbewerber zu einer Feier eingeladen, die Lokalzeitung kritisiert die ausländerfeindlichen Sprüche des Landrats. Auch einige Schülerinnen engagieren sich gegen die rechte Szene. Doch in der politischen Elite haben die Verdränger und Verharmloser die Oberhand. Die schon zu DDR-Zeiten entstandene rechtsextreme Szene in Oranienburg findet so fremdenfeindlichen Resonanzboden. Das belegt die lange Liste rechter Gewalttaten und Vorfälle im Anhang des Buches.
Das Fazit der Autoren: Politiker müssen dazu gedrängt werden, für eine politische Kultur zu sorgen, in der sich alle frei bewegen können – auch Obdachlose, Behinderte, Asylbewerber, Flüchtlinge und SchülerInnen, die ein rechtsextremes Outfit ablehnen. Bei den jugendlichen Skinheads ist zwischen Tat und Persönlichkeit des Täters zu unterscheiden. Auf Gewalt müssen Polizei und Justiz mit unnachgiebiger Härte reagieren. Gleichzeitig müssen aber „die zerstörten Persönlichkeitsanteile durch das Angebot einer konkreten Lebensperspektive“ wiederaufgebaut werden. Annette Jensen
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