Buch zur Globalisierung des Rechts: Weiches Wasser
Die US-Philosophin Seyla Benhabib verteidigt die globale Verrechtlichung gegen linke Antiimperialisten und Anhänger der Nation.
Wir erleben eine beängstigende Rückkehr des Nationalen. Trump und Le Pen, Putins Rückzug vom Internationalen Strafgerichtshof sind eindeutige Zeichen dafür. Doch wenn man den Blick weiter fasst, erkennt man, dass ein warmer Tiefenstrom, trotz vielfacher Barrieren, in eine andere Richtung fließt. Seit der Erklärung der Menschenrechte 1948 hat sich ein fein gesponnenes Netz von Verträgen, Abkommen, Konventionen entwickelt, das den Individuen, nicht selten unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, Rechte zukommen lässt.
Die Nationalstaaten sind rechtlich gesehen längst nicht mehr souverän. Sie sind vielmehr „wie Gulliver in Liliput von Hunderten von Fäden festgezurrt, die sie niederhalten“, so Seyla Benhabib. Die US-Philosophin weiter: „Die Positivierung der Menschenrechte in Form von transnationalen Menschenrechtsgesetzen ist ein Novum in der Weltpolitik. Es wäre ein Fehler, die emanzipatorischen Potentiale zu ignorieren, die von diesen Veränderungen ermöglicht werden.“
Der Band „Kosmopolitismus ohne Illusionen“ versammelt Aufsätze und Vorträge, von Menschenrechten bis zum Kopftuch, die alle dem gleichen roten Faden folgen: Es sind Versuche, die Spannung zwischen globalem und nationalem Recht auszumessen. In diesen theoretischen Exkursionen ist es nützlich, zumindest vage Vorstellungen von Kants , Rawls und Habermas’ Werken zu haben. Trotz der mitunter schwindelerregenden Abstraktionshöhe zielen diese Essays auf Praktisches. Sie skizzieren die Vorteile der Globalisierung des Rechts, die Benhabib entschlossen gegen linke und rechte, marxistische und nationalistische Kritiker in Schutz nimmt.
Die Kritik einiger Linken
Einige Linke erkennen in der globalen Verrechtlichung nur moralische Tarnkappenbomber, mit denen der Westen den Rest der Welt kolonisiert. Die Vertreter des souveränen Nationalstaats kritisieren hingegen, dass die Internationalisierung die demokratischen Verfahren erprobter Rechtssysteme aushöhlen. Gibt es, so die skeptische Frage, eindeutig erkennbare Autoren des internationalen Rechts, an die sich in geregelten Prozeduren Protest adressieren lässt? Ist es also erstrebenswert, so der Einwand von Autoren wie Michael Walzer und Michael Sandel, dass globale Rechte weiterhin wie feiner Sand in das rechtliche Gefüge der Nationalstaaten einsickern? Man kennt ähnliche Zweifel an der demokratischen Transparenz der EU.
Seyla Benhabib: „Kosmopolitismus ohne Illusionen“. Aus dem Englischen von K. Wördemann/A. Fliedner. Suhrkamp 2016, 281 Seiten, 18 Euro
Benhabib hält dem entgegen, dass Menschenrechtsnormen nur wirksam werden, wenn sie von den Nationalstaaten adaptiert werden. Es ist, so ihr Argument, kurzschlüssig, das Universelle, die Menschenrechte, und das Besondere, die tradierten zivilen Gemeinschaften, als Gegensätze zu denken. Sie sind kein Entweder-oder, sondern eher Aggregatzustände, die sich durchdringen.
Keine höherwertige Moral
Benhabib gibt zudem dem Kosmopolitischen, Universellen nicht blindlings den Vorrang vor dem Nationalen. Der Kosmopolit kann rasch als veredelte Ausgabe des Globalisierungsgewinners erscheinen, als Teil einer Elite, „die als Weltenbummler den Sorgen gewöhnlicher Bürger enthoben“ ist. Auch deshalb darf das Universelle nicht als höherwertige Moral präsentiert werden, als Fortschritt, der alles Partikulare, Besondere, Schräge hinwegfegen wird. Griffig gesagt: Eine Weltregierung mit einem globalen Rechtskanon ist nicht nur realpolitisch schwer vorstellbar – global gültige Menschenrechtsnormen sind auch nicht wünschenswert, wenn sie unten als Befehl von oben ankommen. Man muss sich nicht an den Angriffskrieg der USA gegen den Irak erinnern, um zu verstehen, wie fatal es sein kann, sich Menschenrechte auf die Fahnen zu pinseln.
Alexander Gauland galt als kluger Konservativer, mit dem Linke gern debattierten. Nun dirigiert er die AfD immer weiter nach rechts – und will so in den Bundestag. Warum er sich so entwickelt hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Dezember 2016. Außerdem: In der deutschen Hackerszene tobt ein Kampf um Sex, Moral und Macht. Ein Netz-Krimi. Und: Eine Begegnung mit der marokkanisch-französischen Autorin Saphia Azzeddine. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Benhabibs Hoffnung richtet sich auf die „jurisgenerative Wirkung“ der globalisierten Rechtsnormen – ein bemerkenswert unhandlicher Begriff für etwas durchaus Konkretes. Nämlich: Das Recht schafft „ein normatives Bedeutungsuniversum“. Es produziert einen Kanon von Ansprüchen, die soziale Bewegungen nutzen, um Druck auf Regierungen auszuüben, die diese internationalen Verträge ja eigenhändig unterschrieben haben. Am Ende werden so „Prozesse kaskadenförmiger demokratischer Iterationen“ (Benhabib) ausgelöst. Das Wasser, fließt es nur beharrlich genug, schleift den Fels.
So liegt gerade im Unverbindlichen des internationalen Rechts, das durch kein staatliches Gewaltmonopol abgesichert ist, dessen wahre Macht. Gerade die scheinbare Schwäche des globalen Rechts ist dessen Stärke. Das ist die gescheite, dialektische Wendung dieser Essays, deren intellektuelle Brillanz mitunter von akademischen Jargon verschüttet wird.
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