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Buch über neue UnterrichtsformenLernen ohne Schule

Ulrike Kegler ist Deutschlands wichtigste Rektorin. Sogar Pubertierende kann sie für den Unterricht begeistern - ganz ohne Schule. Jetzt stellt sie ihr Buch vor.

Huch, wo sind denn alle hin? Wenn's nach Rektorin Ulrike Kegler geht, im Freien – zum "entschulen". Bild: photocase/clafoutis

Die Jungs holen jetzt gleich einen Vorschlaghammer. Seit Minuten traktieren sie den Laternenpfahl. Hängen sich wie Tarzane gemeinsam daran. Biegen die Laternenpeitsche beharrlich um. Die Zuschauer werden nervös. Das sollen also die Jugendlichen einer der besten deutschen Schulen sein? Tatsächlich weiß der Betrachter dieser Szene nicht recht, ob es sich um marodierende Jugendliche handelt.

Nein, es sind tatsächlich Schüler. Ulrike Keglers Schüler. Die Leiterin der Potsdamer Montessori-Oberschule hat ihnen frei gegeben. Und sie will sie so begeistern - für Schule. Und vor allem für sich selbst.

Das Gelände heißt Schlänitzsee 1, liegt nahe Potsdam und wurde früher von der Stasi als Ferienlager genutzt. Nach der Wende wurde es abrupt verlassen, Müll und Verwahrlosung blieben zurück. Fragt jemand einen der schuftenden Schüler: "Immer noch nicht müde?" - "Nee", antwortet der mürrisch. - "Seit wann geht das jetzt?" - "So sieben Stunden". Ein anderer wird gefragt, wieso er so konzentriert arbeitet. "Man hat immer das Ziel vor Augen, dass man hier irgendwann mal Tiere halten kann", sagt er. Und sein Kumpel ergänzt. "Es ist hier so, als ob man eine Verantwortung trägt für etwas Wichtiges. Weil es fertig werden soll. Es ist auch wichtig, wenn man Bäume ausmisst, dass man das genaue Maß hat. Weil wir machen ja jetzt auch Karten, Maßstab eins zu fünfhundert, und da muss auch alles stimmen!"

Das halbe Land jammert darüber, wie faul und frech die Kids geworden sind. Gerade die Pubertierenden gelten als eine ätzende und nervtötende Spezies. Man kann mit denen alles machen, heißt die goldene Regel von Lehrern, "bloß keine Schule". Und dann das. Siebt- und Achtklässler werkeln stundenlang, am liebsten ohne Pausen, auf einem verlassenen Stasigelände. Und beginnen, ganz nebenbei, sich mit Mathe zu befassen. Weil sie das Gelände kartieren müssen. Würde man sie in der Schule darum bitten - sie würden einem den Vogel zeigen.

Warum macht Ulrike Kegler so verrückte Sachen? Warum nimmt sie das Wort von der "Entschulung der Schule", das in den 60er-Jahren die Runde machte, ernst - und setzt es um? Ulrike Kegler, 54, war die wichtigste Rektorin Deutschlands. Sie hat zusammen mit ihren Lehrern die Thälmann-Schule in die Montessori-Gesamtschule-Potsdam umgebaut - eine der besten Schulen, in die jährlich 700 Besucher pilgern, um herauszufinden, was die dort anders machen.

"Wir haben alles Mögliche versucht, von relativ gelenkten Unterrichtsformen", erzählt Kegler "über sehr freie, dann wieder eingegrenzt, aber mit Exkursionen. Die richtige Konzentration ist nur dann entstanden, wenn es keinen Unterricht mehr gab."

Der Schulraum ist zu klein geworden, sagt sie. Kegler hat sich beurlauben lassen, um ein Buch darüber zu schreiben, wie sie Schule macht. "In Zukunft lernen wir anders", heißt es. Und im Untertitel: "Wenn die Schule schön wird." Darin geht es auch um das Entschulen - es ist das interessanteste Element. Denn Kegler versucht plausibel zu machen, warum Kinder ganz allgemein beim Übergang in die Sekundarstufe "nie annähernd die alltägliche Konzentration" mehr finden, die sie in Kindergarten und Grundschule noch hatten. Es geht also um das Phänomen hinter der Pisakrise - Apathie und Schulmüdigkeit.

Kegler zeigt, dass man beidem weder durch mehr Schule und schon gar nicht durch mehr Disziplin begegnen kann, sondern durch Respekt. Und durch Authentizität. Jugendliche nähmen in natürlicher Umgebung ihre primären Bedürfnisse wahr. "Nicht das Geplante, Fertige, Vorgesetzte, sondern das Werden, Schaffen, Entwickeln stehen im Zentrum des Projekts."

Am Dienstagabend hat sie das Buch vorgestellt, und dass der brave Potsdamer Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) dabei war, zeigt: Keglers Reformpädagogik ist bei Leuten angekommen, die dem neuen Lernen früher Steine in den Weg legten, anstatt den Lehranstalten die Freiheit zu geben, sich wieder in Lernorte zu verwandeln.

Ulrike Kegler: "In Zukunft lernen wir anders". Beltz 2009, 255 Seiten, 19,95 €

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6 Kommentare

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  • KM
    Katze mit Hut

    Zuerst einmal stimme ich grundsätzlich Herrn Kosiek zu. An der gesamten Bildungsdiskussion stört mich, dass ständig von "Chancengleichheit" geredet wird, damit aber letztendlich gemeint ist, dass die Schwächeren (das untere Ende der Gaußschen Normalverteilung) noch mehr gefördert werden sollen. Was ja nicht falsch ist.

     

    Doch am anderen Ende befindet sich das am sträflichsten vernachlässigte Potential unserer Gesellschaft, welchem mit ein bisschen Beschäftigungstherapie im Rahmen eines "Projekts", bei dem sich "nebenbei" mit Mathe auseinandergesetzt wird, mit Sicherheit nicht mehr gedient ist als mit dem derzeitigen Schulsystem, das sie an allen Ecken und Enden hindert und bremst.

     

    Dass das dreigliedrige Schulsystem in seiner derzeitigen Form sich überlebt hat, kann mittlerweile als sichere Erkenntnis gelten. Doch genauso kann es nie "eine Schule für alle" geben - dazu sind Kinder, dazu sind Menschen zu verschieden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das gesamte Schulsystem auf Frau Keglers System umstellen lässt. Oder dass solche Schüler nach der schulischen Ausbildung an einer Universität gut aufgehoben wären. Sicher, wir brauchen Reformen, aber es wird nie eine Pädagogik für alle geben können, die alle Probleme der ach so schlechten konventionellen Pädagogik/des konventionellen Schulsystems löst.

     

    Montessori-, Waldorf- und andere Reformschulen gibt es schließlich nicht erst seit gestern. Wie viele Absolventen dieser Schulen finden sich in einflussreichen Positionen der Gesellschaft? Was bewirken diese Schulen tatsächlich für uns; lässt sich das quantifizieren? Haben Menschen, die solche Schulen besuche, tatsächlich einen objektiven Vorteil im Leben? Denn darauf ist Reformpädagogik doch ausgelegt. Aber kann sie diesen Anspruch auch einlösen? Danach wird nie gefragt.

     

    Nur weil das alte System schlecht ist, muss nicht jede alternative Idee die beste sein.

  • KA
    Katze am Schwanz packen...

    Wieso zu Recht? Gilt der Umkehrschluss, dass der Mainstream des Bildungswesens derzeit schon gut ist? Überraschend bei den Befunden der Forschung zu selektivem Bildungssystem, zu Leistungsniveau im int. Vergleich, zur Bildungsbenachteiligung von Unterschichtkindern...

  • HO
    Hund ohne Hut

    Ist das die richtige Methode um Kinder auf ein kapitalistisches Arbeitsleben vorzubereiten oder nur ein Versuch einer Direktorin mit provokanten Themen auf dem kaptitalistischem Büchermarkt Aufmerksamkeit zu erlangen?

  • N
    nadine

    Liebe Katze mit Hut,

    sie haben bestimmt viel Ahnung von Pädagogik. Möchten sie ihren Kommentar auch begründen bitte?

    Das Schulwesen braucht dringend Reformen um einen Bezug zur Lebenswelt herzustellen. Damit Schüler wissen was sie tun, warum sie es tun und wofür sie es tun. Reformen in die Richtung, dass lernen Spass macht, in die Richtung, dass Schüler etwas lernen, mit dem sie im Leben etwas anfangen können, in die Richtung, dass sie lernen sich auszudrücken und zu argumentieren statt draufloszuhauen. Deswegen kann man von Montessori und Co. etwas lernen! Sie scheinen das ja nicht nötig zu haben. Aber die nachfolgenden Generationen vielleicht. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist: die Welt wird komplexer und wir brauchen Menschen, die die Welt im positiven Sinne gestalten wollen, keine Roboter die funktionieren.

    Gruss,

    N Maier

  • KK
    Klaus Kosiek

    Keine neue, aber eine gute Idee - wahrscheinlich geeignet, um die Kids aus der Unterschicht in der Pubertät einigermaßen sinnvoll zu beschäftigen. Die Eltern der Oberschicht und der aufstiegsorientierten Mittelschichten werden ihren Nachwuchs weiterhin auf Privatschulen mit ähnlichem pädagogischen Profil oder auf staatliche Schulen mit hohem Leistungsanspruch und konventioneller Pädagogik schicken - und damit ihren Vorsprung im Zugang zu den besseren Positionen in der Gesellschaft ausbauen.

  • KM
    Katze mit Hut

    Wie alle Schulreformsversuche wird auch dieser am "Mainstream" des Bildungswesens vorbeigehen. Zu Recht.