piwik no script img

Buch über israelische GesellschaftZusammenleben ohne Hass

Es gibt sie, die jüdisch-arabische Kooperation in Israel. Igal Avidan hat mit unterschiedlichen Menschen gesprochen, die der Gewalt entgegentreten.

Israelisch-arabisches Paar am Strand von Akko Foto: Ariel Schalit

Uri Jeremias hätte allen Grund, wütend zu sein. Sie haben sein Hotel zerstört. Sein Restaurant ging in Flammen auf. Seine Existenz war bedroht. Aber Jeremias, genannt Uri Buri und einer der bekanntesten Köche Israels, bleibt sanftmütig wie ein Lamm.

Sachlich berichtet er, dass die Polizei unterbesetzt gewesen sei in jener Nacht zum 11. Mai 2021, als der Krawall begann. Dass Kriminelle die Lage genutzt hätten und Brandsätze geworfen und geplündert hätten. Und dass er, Uri Buri, selbstverständlich weitermachen werde und alles wieder aufbaut.

Uri Jeremias lebt in Akko, einer gemischt jüdisch und arabisch besiedelten Stadt im Norden Israels. Die Bilder seines zerstörten Restaurants gingen vor gut zwei Jahren um die Welt. Es waren Tage der Aufruhr: Meist junge jüdische und arabische Israelis griffen einander an, warfen Steine, zündeten Autos und Häuser an, demolierten Wohnungen, plünderten und töteten – und das nicht irgendwo in den besetzten Gebieten, sondern mitten in Israel.

Igal Avidan: „‚...und es wurde Licht!‘ Jüdisch-­arabisches Zusammen­leben in Israel“. Berenberg Verlag, Berlin 2023, 254 Seiten, 18 Euro

Warum ist das geschehen? So lautet eine Ausgangsfrage von Igal Avidan in seinen Reportagen aus den Städten, die damals im Zentrum der Gewalt lagen. Und, so die zweite Frage, gibt es Menschen, die sich dieser Gewalt und dem Hass entgegenstellen?

Hoffnung machen

Avidan begibt sich auf eine Art Städtetrip. Seine Reise führt ihn nicht nur zu touristischen Highlights wie der Altstadt von Akko. Es geht auch dorthin, wohin sich kein Urlauber verirrt, in heruntergekommene Viertel in Lod oder Ramle etwa. Avidan trifft dort auf Gesprächspartner, die Hoffnung machen, Menschen wie Jeremias, die an ein friedliches Zusammenleben glauben, an Kooperation und Gemeinsamkeit aller Israelis.

Gemeinsamkeit beginnt mit Identität und Geschichte. Ein zentrales Element jüdisch-israelischer Identität ist die Erinnerung an den Holocaust. Für viele muslimische und arabische Israelis spielt der deutsche Massenmord dagegen kaum eine Rolle. „Wir lernten die Antworten auf die möglichen Fragen auswendig, mehr nicht“, sagt Noha Khatib rückblickend über den Unterricht an ihrer Schule.

Doch heute arbeitet die muslimische Araberin am Haus der Ghettokämpfer im Norden Israels. Hier, am Zentrum für humanistische Bildung, bringt sie arabischen Jugendlichen den Holocaust näher. „Jeder bringt seinen Schmerz in die Diskussionsrunde, auch die Nakba“, die Katastrophe der Vertreibung arabischer Menschen in Israel 1948. Man könne den Vergleich nicht verbieten, sagt Noha Khatib.

Wer die Angreifer und Plünderer damals vor zwei Jahren in israelischen Städten waren, kann auch Avidan nicht aufklären. Nationalreligiöse jüdische Jugendliche und junge Erwachsene waren darunter, arabische junge Männer ohne Perspektiven, wohl auch Kriminelle, Hasserfüllte. Dieses Buch bemüht sich vielmehr, diejenigen Menschen auf beiden Seiten zu Wort kommen zu lassen, die der Gewalt die Stirn bieten.

Grenzen der Kooperation

Da ist Avichai Tabak, ein jüdischer Israeli, der in Lod eine Internetzeitung betreibt. Lod, das ist die Stadt, in der 2021 unter anderem Synagogen in Flammen aufgingen und zwei Menschen auf der Straße starben, ein Jude und ein Araber. Die Gewalt schockierte Tabak, der „unser gutes Zusammenleben in Flammen aufgehen“ sah. „Wir müssen einen Weg finden, zusammenzuleben“, sagt er.

Hanadi Basel leitet im jüdisch-arabischen Kulturzentrum von Lod mit dem Namen „Chicago“ die arabische Abteilung. Sie beklagt, dass jede Gruppe ihre eigenen Veranstaltungen durchführt. Ein Chanukka-Leuchter neben einem Weihnachtsbaum? „Es wäre die Erfüllung eines Traums“, sagt Basel. Noam Dreyfus leitet die jüdische Abteilung. Aufklärung und Frieden sind Dreyfus wichtig, aber zu viele Gemeinsamkeiten lehnt er ab, „wegen der Assimilation“. Das sind sie, die Grenzen der Kooperation.

Igal Avidan hat ein Buch geschrieben, das Mut machen kann. Mut, dass der schier endlose Konflikt zwischen Arabern und Juden in Israel doch friedlich zu lösen wäre, wenn Menschen wie Hanadi Basel, Avichai Tabak, Noha Khatib und Uri Jeremias sich durchsetzten würden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!