Buch über die Weiße Rose: Helden, aber keine Engel
Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime wie die Mitglieder der „Weißen Rose“ werden oft als Lichtgestalten dargestellt. Mit fatalen Folgen.
Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einigen Tagen den Widerstand der „Weißen Rose“ in München würdigte, sprach er kurz, wenn auch eher versteckt im Mittelteil seiner Rede, die Vorgeschichte ihrer Mitglieder an. Es stimme zwar, dass kaum einer von ihnen von Anfang an gegen das NS-Regime eingestellt gewesen sei, ja Sophie und Hans Scholl seien zunächst sogar begeistert von Hitler gewesen.
Aber je brutaler das NS-Regime gegen seine Gegner vorging, „umso mehr reifte in diesen jungen Menschen die Erkenntnis, wie es in Wahrheit um Deutschland stand“, so Steinmeier. Steinmeier ordnete den Widerstand in eine Vorgeschichte ein. Das sind eher selten vernehmbare Worte aus den Reihen der höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik.
Tatsächlich tendiert das öffentliche Gedenken an die Kämpfer gegen das NS-Regime dazu, diesen eine Reinheit ihrer Herzen und Gedanken zuzubilligen, die es so nicht gegeben hat. Auch die Träger des Widerstands hatten, sehr vorsichtig ausgedrückt, ihre Macken. Da gab es Kommunisten, die Josef Stalin als eine Lichtgestalt der Geschichte wähnten, Christen, die ihren Antisemitismus keineswegs abgelegt hatten, und Offiziere, die den Tod aus Deutschland zuvor in die entferntesten Winkel Europas getragen hatten.
Robert M. Zoske: „Die Weiße Rose. Geschichte, Menschen, Vermächtnis.“ C.H. Beck Verlag, München 2023, 128 Seiten, 12 Euro
Das gilt auch für die kleine Gruppe der studentisch geprägten „Weißen Rose“, die mit Flugblättern zum Sturz des Regimes aufriefen. Zum Beispiel Sophie Scholl: Als sie 1937 konfirmiert wurde, trug sie als Gruppenführerin stolz die Uniform der Jungmädel im Bund Deutscher Mädel (BDM). Mit 18 Jahren hätte sie sich ohne Schwierigkeiten vom BDM zurückziehen können, aber sie tat weiter ihre „Pflicht“, auch mit deutschem Gruß.
Dunkle Vorgeschichte
Ihr Bruder Hans Scholl hatte 1938 ein Verfahren wegen angeblicher Homosexualität mit einem Untergebenen nach dem berüchtigten Paragrafen 175 glimpflich überstanden. Er war als Fähnleinführer der Hitlerjugend (HJ) für 150 „Kameraden“ verantwortlich. Als Fahnenträger nahm er 1935 am Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg teil.
Oder Kurt Huber: Der Professor mit einem Faible für Volksmusik war Nationalist, Antisemit und ein Gegner der Demokratie, der sich 1914 darüber ausgelassen hatte, dass der Krieg die „Nachkommensproduktion der vollwertigen Männer gegenüber den minderwertigen“ hemme. 1937 gelobte Huber, an der deutschen Volkskunstpflege „im Sinne unseres Führers mitzuarbeiten. Heil Hitler!“
Diese und weitere Details sind keine Geheimwissenschaften, sondern lange und bis in Details erforscht. Man kann sie in dem gerade erschienen lesenswerten Buch „Die Weiße Rose“ von Robert M. Zoske nachlesen. An den Historikern liegt es also nicht, wenn dunkle Flecken in der Vorgeschichte des Widerstands weitgehend unbeleuchtet bleiben.
Zoske zeigt auch, wie sich das Bild der „Weißen Rose“ nach dem Krieg entwickelte. Ost-Berlin erklärte die Gruppe zu antifaschistischen Sozialisten, während sie im Westen quasi zu geistigen Müttern und Vätern der Bundesrepublik aufstiegen. Aus Sophie Scholl als der einzigen Frau in der Gruppe entstand eine Inkarnationsfigur, die sie in ihrem Leben nicht war.
Tatsächlich trat die junge Frau erst relativ spät der Gruppe bei und hatte keine intellektuelle Führungsposition. Doch nur Sophie ist in der Walhalla bei Regensburg, diesem Ruhmestempel deutschen Geistes, eine marmorne Büste gewidmet, ihr Abbild findet sich auf Briefmarken wieder und noch 2019 erinnerte Bundespräsident Steinmeier an das „Schicksal der Gruppe um Sophie Scholl“.
Auch nur ganz normale Antisemiten
Es soll hier nicht darum gehen, das Andenken an den Widerstand gegen das NS-Regime in den Schmutz zu ziehen, im Gegenteil. Aber es bleibt festzuhalten: Auch die Gegner Hitlers waren ganz normale Menschen und fehlend in ihren Urteilen.
Das gilt auch für die meist jugendlichen Mitglieder der „Weißen Rose“, die, vornehmlich aus christlich orientierten Elternhäusern stammend, den Vorstellungen der bündischen Jugend nicht abgeneigt schienen, Vorurteile über Jüdinnen und Juden in sich trugen und nicht immer als lupenreine Demokraten auftraten. Ihre Hinwendung zum Widerstand geschah früh, wenn man es nach ihrem Lebensalter bemisst, aber spät angesichts der Verbrechen der Nationalsozialisten.
Doch spiegelt diese Bereitschaft, im Kampf gegen das NS-Regime das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, angesichts der persönlichen Vorgeschichten bei der „Weißen Rose“ nicht gerade eine ganz besondere Leistung wider?
Diesen weiten Weg zu gehen vom unkritischen Fan der NS-Bewegung hin zu ihrem erbittertsten Gegner: Das ist ein Beweis eigenen Denkens und eines Muts, der seinesgleichen sucht. Diese Lebenswege zeigen auch, dass man Menschen nicht verloren geben darf, die einmal falsch abgebogen sind.
Zu Göttern stilisiert
Die Frage, ob sich die deutsche Öffentlichkeit ein umfassenderes Bild von den Trägern des Widerstands machen sollte, ist keine akademische. Denn die Tendenz, diese Vorgeschichten gnädig auszublenden, hat fatale Folgen.
Wie soll ein junger Mensch von heute diese Kämpfer zum Vorbild nehmen, wenn sie als derart rein von Fehl und Tadel dargestellt werden? Wie soll man sich mit Menschen identifizieren, die engelsgleich immer nur das Mutige, Gute, Vorbildliche geleistet haben, immer auf der richtigen Seite standen – eingedenk der Tatsache, dass doch alle um die Verfehlungen im eigenen Leben wissen?
So werden die Widerstandskämpfer zu unnahbaren Göttern gemacht, denen nachzueifern von vorneherein ein Ding der Unmöglichkeit ist. Sie sind abgehobene Lichtgestalten, mit deren Handeln man sich nicht identifizieren kann.
Vor 80 Jahren, am 18. Februar 1943, betraten Hans und Sophie Scholl die Münchner Universität, mehr als tausend Exemplare ihres 6. Flugblatts mit sich führend. Es forderte „persönliche Freiheit“, „freie Meinungsäußerung“, „Geistesfreiheit“ sowie „Freiheit und Ehre“. Sophie Scholl ließ einige Flugblätter den Lichthof hinuntersegeln. Sie wurde beobachtet, beide Geschwister festgenommen und verhört. Am 22. Februar verurteilte der Volksgerichtshof beide sowie Christoph Probst zum Tode. Nachmittags um fünf erfolgte die Hinrichtung. Am 13. Juli starben Alexander Schmorell und Kurt Huber, am 12. Oktober Willi Graf.
Ja, das waren Helden. Aber auch sie waren fehlbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach