Buch über Warschauer Aufstand: Der vergessene Widerstand

Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand. Stephan Lehnstaedt hat nun die erste deutschsprachige Monografie seit 1962 veröffentlicht.

Drei Männer der polnischen Heimatarmee in Warschau, 1944.

Am 1. August 1944 beschließt die polnische Heimatarmee Warschau mit eigenen Kräften zu befreien Foto: akg-images

Interessierte man sich in der alten Bundesrepublik nur wenig für die Geschichte der Ostblockländer, so stand im kommunistischen Polen der Warschauer Aufstand im Widerspruch zur offiziellen Erinnerungspolitik; er ging nämlich von der im Untergrund operierenden antikommunistischen, der Londoner Exilregierung unterstehenden Polnischen Heimat­armee („Armia Krajowa“) aus.

Doch auch heute ist der Aufstand in Polen nicht unumstritten. War die Erhebung, die neben den deutlich geringeren militärischen Verlusten laut Stephan Lehnstaedt („Der Warschauer Aufstand 1944“) vermutlich 180.000 zivile Todesopfer forderte und zur fast vollständigen Zerstörung Warschaus führte, überhaupt nötig? Die deutsche Herrschaft im „Generalgouvernement“ stand im Sommer 1944 vor dem Aus; hätte man seine Kräfte nicht für eine bevorstehende Auseinandersetzung mit der Roten Armee aufsparen sollen?

Die Führung der Armia Krajowa (AK) unter Tadeusz Graf Komorowski (Deckname „Bór“) dachte freilich ähnlich: Sie wollte die Befreiung nicht der Roten Armee überlassen, scheint aber wiederum von Anfang an eben auf deren Hilfe gezählt zu haben. Denn gerade erst hatten die Sowjets in der Operation Bagration die deutsche Heeresgruppe Mitte zerschlagen und waren durch Weißrussland bis östlich von Warschau vorgestoßen; das gab den Ausschlag zum Beginn des Aufstands.

Stephan Lehnstaedt : „Der Warschauer Aufstand 1944“. Reclam Verlag, Leipzig 2024, 160 Seiten, 18 Euro

Doch gerade jetzt kam der weitere sowjetische Vormarsch in der Panzerschlacht vor Warschau zum Stehen. Zeitgleich begann in Warschau das Massaker von Wola: SS und Polizei unter SS-Gruppenführer Heinz Reinefarth ermordeten vor allem zwischen dem 5. und 7. August schätzungsweise 50.000 Warschauerinnen und Warschauer. Auch gefangengenommene Kämpfer der AK wurden unterschiedslos getötet. Besonders brutal wüteten die berüchtigten SS-Einheiten unter Oskar Dirlewanger und Bronislaw Kaminski.

Wahlloses Morden

Das wahllose Morden wurde nach einigen Tagen offiziell eingestellt. Der deutsche Oberbefehlshaber, SS-General Erich von dem Bach, der aus verarmtem kaschubischem Adel stammte und eigentlich „von Zelewski“ hieß (den slawischen Namensteil legte er zu NS-Zeiten ab und nahm ihn nach dem Krieg wieder an), verfolgte eine pragmatische Strategie; sicher nicht aus Humanität, wie er es darstellte, sondern um die eigenen Truppen zu schonen sowie in Erwartung der Roten Armee.

Den kommunistischen Machthabern nach 1945 galt der Aufstand, so Lehnstaedt, lange als „reaktionäre Erhebung“

Deren Führung hatte sich doch noch zu einem begrenzten Vorstoß entschlossen und ließ Mitte September die aus polnischen Exilanten bestehende „Berling-Armee“ angreifen. Doch für den geplanten Übergang über die Weichsel war sie zu schwach, und mehr Truppen wollte Marschall Rokossowski nicht bereitstellen. Auf Befehl Stalins? Darüber herrscht noch nach 80 Jahren Unklarheit. Für Lehn­staedt ist klar, dass die Rote Armee „mindestens im September mehr hätte machen können“.

Völkerrechtlich bedeutsam wurde dieser Vorgang: Da man deutscherseits die polnische Staatlichkeit als untergegangen betrachtete, billigte man den Polen auch kein Widerstandsrecht und den AK-Kämpfern keinen Kombattantenstatus zu; sie galten als Freischärler.

Doch am 30. August erklärten die Westalliierten die Angehörigen der AK zu regulären Soldaten und verbanden dies mit der Drohung, bei Zuwiderhandlung ihrerseits den Kombattantenstatus deutscher Kriegsgefangener nicht zu achten. Das tat seine Wirkung.

Massentötungen, Umdeutungen

Nach dem gescheiterten Weichselübergang waren die Tage des Aufstands gezählt. Am 2. Oktober kapitulierte Bór-Komorowski. Bach-Zelewski profitierte von seiner vermeintlichen Fairness und musste sich nach 1945 nie für die Gräueltaten seiner Truppen in Warschau noch für die in der „Bandenbekämpfung“ (ein Euphemismus für Massentötungen an Zivilisten) verantworten. Reinefarth wiederum brachte es 1951 gar zum Bürgermeister von Westerland.

Den kommunistischen Machthabern nach 1945 galt der Aufstand, so Lehnstaedt, lange als „reaktionäre Erhebung, die sich auch gegen die verbündete Sowjetunion gerichtet hatte: Nur auf ihre Ehre bedachte Generäle hätten auf verbrecherische Weise die einfachen Kämpferinnen und Kämpfer ausgenutzt und die Zivilbevölkerung geopfert, um für ein überkommenes System zu streiten.“

Dass Willy Brandt 1970 vor dem Denkmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto kniete, lag denn auch daran, dass es ein vergleichbares Monument für die „Aktion Burza“ schlicht nicht gab. Erst in den 1980ern wurden zwei große Denkmäler eingeweiht, gar erst „in den 2010er Jahren war landesweit eine richtiggehende Flut an Umbenennungen […] zu beobachten.“

Umso größer dürfte in Deutschland der erinnerungspolitische Nachholbedarf zum Warschauer Aufstand sein. Zu seiner Erfüllung, aber auch angesichts erneuten russischen Ausgreifens nach Westen kommt das Buch des Historikers Stephan Lehnstaedt zur rechten Zeit.

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