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Buch über ModebrancheHandtasche statt Bezahlung

Sozialanthropologin Giulia Mensitieri entlarvt die Schattenseiten des „schönsten Berufs der Welt“: Oft reicht er nicht für den Lebensunterhalt.

Backstage beginnt das Elend: eine Ankleiderin richtet ein Model für eine Modeschau her Foto: picture alliance/dpa

Die erste Begegnung mit Mia findet im „Chez Jeannette“ statt, in einer Pariser Bar im 10. Arrondissement. Giulia Mensitieri trifft die – anonymisierte – erfolgreiche italienische Stylistin dort auf einen Drink mit dem Redakteur eines angesagten Magazins. Mia, gekleidet in Jeans und Hoodie, mit Chanel-Pumps an den Füßen, einer Prada-Handtasche hinter sich baumelnd, erzählt von ihrem Wochenende.

Durchgeheult habe sie dieses, nachdem sie von einem aufwändigen Shooting für eine bekannte Friseurkette heimgekommen war. Heim in ihre ungeputzte Wohnung, die sie sich teilt und für deren Miete ihr dennoch das Geld fehle. Kurz darauf klingelt ihr Telefon, Mia antwortet nicht. Es sei ihr Mobilfunkanbieter, sagt sie, 273 Euro schulde sie diesem. Doch ja, sie könne die Ergebnisse, von dem was sie tue, sehen, nur seien diese eben nicht finanzieller Natur.

Mia ist eine der Protagonist*innen in Mensitieris Buch „The Most Beautiful Job in the World“. Prototypisch steht sie für die Beschäftigten einer Branche, die in Frankreich die zweitwichtigste ist, die Milliardenumsätze generiert – und die gleichzeitig die allermeisten, die dort arbeiten, am langen Arm verhungern lässt.

Arm im Fünf-Sterne-Hotel

Von den Schattenseiten der Modebranche war schon oft zu lesen gewesen. Mensitieri geht es jedoch nicht um die katastrophalen Zustände in den Sweatshops in Bangladesch oder Burkina Faso. Die prekären Beschäftigten, die Mensitieri in den Fokus stellt, tragen Handtaschen, die mehr wert sind als ein Monatsgehalt – weil die ihnen anstelle eines solchen „bezahlt“ wurden. Sie jetten um die Welt, schlafen in Fünf-Sterne-Hotels und ernähren sich dort von Fast Food, weil das Budget für mehr nicht reicht.

Giulia Mensitieri ist Sozialanthropologin und persönlich nur wenig an Mode interessiert. Für ihre Forschung ein Glücksfall, denn sie scheint kaum empfänglich für deren Verführungskräfte, für das Glitzern und den schönen Schein der Oberfläche, der sich, wie Mensitieri beweist, mit dem kleinen Fingernagel der linken Hand ganz leicht abkratzen lässt.

Für „The Most Beautiful Job in the World“, das nun auf Englisch bei Bloomsbury erschienen ist und dessen französische Version 2019 den „Grand Prix du Livre de la Mode“ gewonnen hat, betrieb Mensitieri aufwendige Feldforschungen. Sie begleitete Stylist*innen und Foto­gra­f*in­nen, sprach mit Visa­gis­t*in­nen, De­sig­ne­r*in­nen, Schneide­r*in­nen und As­sis­ten­t*innen, heuerte selbst als – natürlich unbezahlte – Praktikantin bei einem aufstrebenden Designer an.

Die Nähe zum Forschungsobjekt

Von dieser Nähe zum Forschungsobjekt lebt das Buch, von plastischen Beschreibungen und gut ausgewählten Prot­ago­nis­t*in­nen. Mitunter ist es beim Lesen kaum auszuhalten, wer von ihnen sich was gefallen lässt. Aber auch, wie sie allesamt mit ihrem eigenen Verhalten dazu beitragen, dieses toxische System am Leben zu halten.

„Der ‚neue Geist des Kapitalismus‘, in dem die Normalisierung instabiler Arbeitsverhältnisse und die Selbstentfaltung durch Kreativität koexistieren, kann in der Modewelt in annähernd reinster Form betrachtet werden“, schreibt Mensitieri. Sie zeichnet das Bild eines Systems der Ausbeutung und Selbstausbeutung, genährt vom postfordistischen Ideal der Selbstverwirklichung. Vom großen Traum, nicht nur dabei zu sein, als „cool“ zu gelten und symbolisches Kapital zu erwirtschaften, sondern doch noch den „Jackpot“ zu gewinnen, das heißt, von der eigenen kreativen Arbeit leben zu können.

Info zum Buch

Giulia Mensitieri, The Most Beautiful Job in the World: Lifting the Veil on the Fashion Industry. Bloomsbury Visual Arts, £ 17,99. Die gebundene Ausgabe erscheint am 6. August 2020

Doch die Realität ist eine andere: Aufträge, die eine*m in der Mode Ansehen verschaffen, werden schlecht bis gar nicht honoriert. Kommerzielle Jobs bezahlen die Miete, schaden aber dem Ruf.

Mia übrigens, so ist gegen Ende des Buches zu erfahren, hatte irgendwann genug vom Leben am Rande des Existenzminimums, nahm eine gut bezahlte Festanstellung bei einem kommerziellen Modemagazin an, die sie bald aber wieder verlor. Seitdem wird sie nirgendwohin mehr eingeladen und lebt von ihren Ersparnissen. Einen „normalen“ Job anzunehmen, kann sie sich weiterhin nicht vorstellen.

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