Buch über Enzensbergers „TransAtlantik“: Gegen den Zeitgeist
Hans Magnus Enzensbergers „TransAtlantik“ sollte eine kosmopolitische Zeitschrift werden und floppte. Ein Buch arbeitet nun die Hintergründe auf.
Kai Sina: „TransAtlantik: Hans Magnus Enzensberger, Gaston Salvatore und ihre Zeitschrift für das westliche Deutschland“. Wallstein Verlag, Göttingen 2022, 219 Seiten, 20 Euro
Abends auf dem Podium sitzen Katharina Enzensberger, Kai Sina und als Moderator Claudius Seidl von der FAZ. Enzensberger ist Zeitzeugin, sowohl als ehemalige Redakteurin als auch als Witwe eine der beiden geistigen Urheber der Zeitschrift, deren Zielgruppe, „in Buchhandlungen genauso zu Hause“ wäre „wie in Delikatessenläden“, die „nicht irgendeinen Wagen“ fährt, „sondern einen ganz bestimmten“. Und es gehört zu den besonderen Momenten des Abends, wenn Katharina Enzensberger mit gelassen-liebevollem Spott die kleinen und großen Eitelkeiten ihres verstorbenen Mannes Hans Magnus kommentiert.
Kai Sina ist Germanistik-Professor in Münster mit Schwerpunkt Transatlantische Literaturforschung. Aus Interesse am Werk Enzensbergers, erzählt er bei einem Gespräch am Nachmittag im Schumann’s, stieß er auf dessen unerforschtes Zeitschriftenprojekt und beschloss, ihm eine Studie zu widmen, die insbesondere an der „affektiven, stark emotional aufgeladenen“ Ablehnung von TransAtlantik interessiert ist.
Erste Quelle war dabei Enzensbergers autobiografisches Buch „Meine Lieblingsflops“ aus dem Jahr 2011: Weil ihnen der Zeitgeist Ende der 1970er Jahre besonders zum Hals herausgehangen habe, schreibt Enzensberger, hätten er und sein Freund Gaston Salvatore einen Plan gefasst: „Eine großstädtische, intelligente Publikumszeitschrift für die historisch neuen Ansprüche der Bundesrepublik.“ Vorbild, natürlich, der New Yorker.
Gegen verschwitztes Strebertum
Es ist das große Verdienst von Sinas Buch, das TransAtlantik-„Konzeptpapier, Juni 1979“ aus dem in Marbach verwahrten Enzensberger-Nachlass geborgen und klug kommentierend aufbereitet zu haben – schon allein solch enzenbergerischer Verve wegen wie der Analyse der möglichen Konkurrenz des visionierten Unterfangens: Derzeit auf dem Markt verfügbare Publikationen zeichne „verheerender Mangel an Eleganz, verschwitztes Strebertum, kultureller Kretinismus, Klein-Moritz-Attitüde, Bonner Kleinstadtluft“ aus. „Im besten Fall gelingt es diesen Zeitschriften, heruntergekommene Herrenreiter und hilflose Gattinnen zu unterhalten. Sie sind nicht in der Lage, irgendetwas zu problematisieren, und wäre es nur das Design des Aschenbechers auf dem Tisch. Ihre Bewußtlosigkeit erlaubt es ihnen nicht, einen Ton zu finden, geschweige denn, den Ton anzugeben.“
Durfte diese phänomenologische Abgrenzung nach spießig-rechts beim anvisierten Publikumssegment noch auf Zustimmung hoffen, so war die ideologische Grenzziehung nach links, der Abschied nicht nur vom realen Sozialismus, sondern auch gleich von der konkreten Utopie, die Enzensberger in den 70er Jahren vollzogen hatte, schon problematischer, aber natürlich auch reizvoller. Ganz materialistisch gedacht war es aber die Basis des ganzen Unternehmens, die TransAtlantik schon vor Erscheinen und vor dem Flop an den Kiosken zur Provokation, ja zum Hassobjekt werden ließ.
Die Basis trug den Namen des Verlegers Heinz van Nouhuys, in der Zeit als „Kotzbrocken“ und Macher eines „Brüste-Journals für Männer“ bezeichnet, womit das Magazin Lui, die Cashcow des Nouhuys’schen NewMag-Verlags, gemeint war. Für konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza war van Nouhuys schlicht „Spezialist für Imperialismus und Antikommunismus“ und TransAtlantik „Kacke mit Glasur“.
Der gebürtige Niederländer hatte sich als Journalist des konservativen Bauer-Verlags einen Namen gemacht, als er 1972 in der Zeitschrift Quick vertrauliche Papiere aus den Verhandlungen über die Ostverträge veröffentlichte.
In der DDR beschloss die Staatssicherheit daraufhin, gegen van Nouhuys vorzugehen, und zwar indem man Akten, die angeblich dessen Agentenaktivität für die Stasi in den 1950er Jahren belegten, dem Stern als linksliberalen Konkurrenten der rechten Quick zuspielte. Im Verlauf dieser Entlarvungsaktion stellte man in Ostberlin fest, dass van Nouhuys vom BND als Kontakt auf Prämienbasis geführt wurde. Der Stern brachte die Geschichte über den „Doppelagenten“ Nouhuys im Oktober 1973. Der vermeintlich Enttarnte klagte 14 Jahre lang gegen den Stern („absoluter Quatsch“), ohne dass die Richter der letzten Instanz die Wahrheit fanden. Später, an seinen Stammtischen in Harry’s Bar und im Schumanns’s, gab er sich lässig, wie Enzensberger anerkennend in den „Lieblingsflops“ überliefert: „'Was heißt da Doppelagent? Wenn schon, dann mindestens dreifach!“
Ein Spieler, ein schneller, geschäftstüchtiger Mann mit Charme und Witz – ich habe van Nouhuys 2004, ein Jahr vor seinem Tod, selbst interviewt –, das schien Salvatore und Enzensberger der Richtige zu sein: „Die Skrupellosigkeit dieses abenteuerlichen Unternehmers hat uns imponiert. Wir wußten, daß nur ein Mann, der vor nichts zurückschreckte, für unser Projekt in Frage kam.“
Abschied von der linksradikalen Ideologie
Scheiterte TransAtlantik aber nun wirklich am Ressentiment eines linksspießigen Establishments? Rückschauend machte Enzensberger politische und ästhetische Defizite der Landsleute verantwortlich: „Wie konnten wir unser Blatt TransAtlantik nennen, während tapfere Friedenskämpfer auf der Mutlanger Heide gegen die Stationierung amerikanischer Pershing-II-Raketen demonstrierten?“ Und: „Je besser die Zeitschrift aussah, desto betrüblicher ging es mit der verkauften Auflage bergab.“
Folgt man der Interpretation von Claudius Seidl an diesem Abend, dann hatte die Sache einen ganz anderen Geburtsfehler: TransAtlantik scheiterte nicht an der ästhetisch-kapitalistischen Unterentwicklung der Deutschen, sondern an einer Generationshybris. Dem von TransAtlantik dandyhaft erklärten Abschied von der steril und mit der RAF dann mörderisch gewordenen linksradikalen Ideologie stand schon der unbeschwerte Aufbruch einer Punk-und-New-Wave-Generation gegenüber, die sich für die ewigen Hahnenkämpfe der 68er auch mit schickster Typografie nicht mehr interessierte. Mit dem bohemistischen Magazin Mode und Verzweiflung (ab 1978) rund um Thomas Meinecke, ab Mitte der 80er dann mit den Zeitgeistheften Wiener und Tempo kamen Zeitschriften auf den Markt, die eine Feier des Gegenwärtigen in ihrer DNA hatten, die TransAtlantik nur behaupten konnte.
Das überzeugt unbedingt. Aber mal ganz andererseits gesagt: Scheitern – was soll das überhaupt sein?
Salvatore und Enzensberger hatten schon in ihrem Konzeptpapier von 1979 unter dem letzten Punkt „XIV Chancen und Risiken“ nicht uncool dekretiert: „Die Erfolgsaussichten für Transatlantik sind nicht berechenbar“, was der Sache etwas von einer Performance gab, von einem mehr künstlerischen als publizistischen Projekt.
Die Deutschen, gut dreißig Jahre nachdem sie aufgehört hatten, Menschen zu vergasen, waren eben nicht entnazifiziert genug für eine Publikation, als deren idealer Autor Heinrich Heine genannt wurde. Das konnte, ja musste dann eben als Ergebnis des soziologischen Experiments TransAtlantik so stehen bleiben.
Turn von Militanz zu Eleganz
Die Geschichte der Zeitschrift endet nicht im Winter 1982. Bis 1989 erschien sie im NewMag-Verlag, bis der Spiegel übernahm und die Marke 1991 abwickelte. Der frühere taz-Journalist und spätere Redenschreiber Gerhard Schröders, Reinhard Hesse, machte ein gutes Magazin bis zu dessen Tod 1987 zusammen mit dem Schriftsteller Jörg Fauser.
Fauser schrieb regelmäßig in Lui, ließ seinen Krimi „Kant“ 1986 als Fortsetzungsroman im Wiener erscheinen und hielt zu Salvatore und Enzensberger Abstand – aus Gründen, die er seinen Eltern während der Arbeit an einem Lui-Essay über den sprichwörtlichen „Kleinen Mann“, den Schriftsteller Hans Fallada, erläuterte: „Der Artikel darf ein bestimmtes Maß von höchstens 15 Seiten nicht überschreiten – sonst besteht die Gefahr, daß das an Transatlantik geht, und da sei Fallada davor. Zu denen gehört er nun wirklich nicht.“
Bei Fauser, Jahrgang 1944, waren die antiautoritären 68er-Instinkte noch stabil. Wie dem 1943 geborenen Michael Rutschky, dessen genervte Gründe, die TransAtlantik-Redaktion mit zwei lässig dort abhängenden Vetorechtsinhabern schon nach einem Jahr wieder zu verlassen, sich in seinen Tagebüchern überaus amüsant nachlesen lassen, war auch Fauser die Attitüde fremd, immer forsch vorne dabei zu sein, wenn die frische Fahne gehisst und die neue Parole ausgeben wurde.
Der 68 stets neben Dutschke als Posterboy der Revolte auftretende Salvatore und der geschmeidige Chefdenker Enzensberger sollten ruhig ihren Spaß haben auf dem neuen Kurs nach Westen, beim Turn von Militanz zu Eleganz, dem eleganten Sprung vom großen Nein zum kleinen Ja, wie es ihre neuen philosophischen Hausgötter Odo Marquard und Niklas Luhmann lehrten – eine geistig-moralische Wende, für die sie sich ja auch die ganzen 70er lang Zeit genommen hatten.
Aber die Fragen, ob es nicht eine Nummer kleiner auch gegangen wäre; ob nicht eben immer wieder die schärfsten Kritiker der Elche früher selbe welche waren und ob nicht am Ende doch irgendwer Bratkartoffeln aufsetzen muss – die kann, wer sich an TransAtlantik und seine Zeit erinnern möchte, schon stellen, am besten immer noch so, wie es im „Konzeptpapier, 1979“ heißt: „Überlegen (aber nicht arrogant); Intelligent (aber nicht akademisch); Böse (aber nicht hämisch).“
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