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Buch „Krieg der Medien“Auf in die Schlacht gegen Dark Tech

In seinem Buch „Krieg der Medien“ rechnet Medienwissenschaftler Martin Andree ab: mit Big Tech, Populisten und digitalem Phlegmatismus in Europa.

Hat sich einen Social-Media-Kanal gekauft und bestimmt dort, was Wahrheit ist: Elon Musk Foto: Alex Brandon/AP/picture alliance

Elon Musk will den rechtsextremen Megatroll Tommy Robinson begnadigen lassen. Die Tech-Oligarchen aus dem Silicon Valley verbünden sich offen mit Donald Trump.

Und Alice Weidel lobt öffentlich Adolf Hitler – befeuert vom algorithmischen Soundtrack auf X. Willkommen im „Krieg der Medien“, den der Medienwissenschaftler Martin Andree in seinem furiosen Buch beschreibt. Darin kritisiert der Kölner Medienwissenschaftler die Übermacht US-amerikanischer Tech-Konzerne auf unsere Mediennutzung und die Qualität der Diskurse.

Das Buch

Martin Andree: „Krieg der Medien. Dark Tech und Populisten übernehmen die Macht“. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2025, 256 Seiten, 28 Euro

Andree kritisiert die Firmen des „Dark Tech“ – ein Begriff, den er in seinem Buch ganze 184 Mal verwendet. Dieser steht für Technologien, die im Verborgenen agieren, unreguliert, intransparent, oft mit destruktiven gesellschaftlichen Folgen.

Sie passen in das Gesamtbild einer düsteren Medienzukunft: Neuere Recherchen belegen, dass der milliardenschwere Investor und Trump-Flüsterer Peter Thiel, Mitgründer der Überwachungssoftware Palantir, direkte Verbindungen zu den MAGA-Republikanern unterhält und damit zu den zentralen Drahtziehern eines politischen Netzwerks zählt, das Dark Tech nicht nur maßgeblich finanziert, sondern strategisch vorantreibt. Die Plattformlogik ist kein Nebenprodukt, sondern das Machtinstrument einer neuen Rechten, die Technologie als Waffe gegen die liberale Demokratie nutzt.

Verhaltensmanipulation

Prägnant beschreibt Andree das „riesige Täuschungsmanöver“ der „Dark-Tech-Bros“ und „Zombie-Konzerne“, die mit dem Versprechen von Befreiung bei ihren Nutzenden genau das Gegenteil erreichen wollen. Sie sollen „für immer eingesperrt und von ihnen kontrolliert werden“, schreibt Andree. Die angebliche Erlösung durch Technologie bedeute nichts anderes als algorithmisch gesteuerte Verhaltensmanipulation: „Im Krieg um die Medien gewinnen gerade die Dark-Tech-Konzerne. Im Krieg in den Medien sind an allen Fronten die Populisten auf dem Vormarsch“, so Andree.

Und nun werde sichtbar, dass sich beide Bewegungen strategisch miteinander auf gefährliche Weise synchronisieren – unter dem Vorwand der „unzensierten Meinungsfreiheit“, als Gegenerzählung zum sogenannten „Systemjournalismus“, den nicht nur Trump und seine Truppen, sondern auch die Weidels und Höckes in unseren Sphären verbreiten.

Andree kämpft seit Jahren gegen diese Machtkonzentration im Netz. Nach seinem Bestseller „Big Tech muss weg!“ von 2023 schlägt er jetzt erneut Alarm – mit Herzblut, Sachverstand und der Wut im Bauch eines Mannes, der sich in Interviews und auf den Podien dieser Republik den Mund bereits fusselig geredet hat. „Krieg der Medien“ ist ein Buchtitel, der bewusst so plakativ klingen soll wie ein Hollywood-Blockbuster. Das Buch ist daher keine neutrale Analyse eines Wissenschaftlers, sondern ein kämpferisches Manifest.

Eine Utopie fehlt

Der Notruf des 52-jährigen Andree könnte klarer kaum sein, schließlich geht es ums große Ganze: Im Angesicht von Big-Tech-Autokratie, Populismus und KI drohen nicht nur unsere demokratischen Strukturen zu verwahrlosen. Die Demokratie hat ihre digitale Souveränität eingebüßt – und kaum jemand scheint es zu merken. Dabei agiert Andree hier weder als Kulturpessimist noch als Romantiker analoger Medienkultur.

Er analysiert hart, mitunter alarmistisch, wie sich Öffentlichkeit unter der fortdauernden digitalen Knechtschaft transformiert – und warum sie uns entgleitet, wenn wir ihre Gestaltung nicht (endlich) selbst in die Hand nehmen. Was fehlt, sagt er, sei eine echte Vision: eine Utopie, wie eine digitale Medienwelt jenseits von Desinformation, Aufmerksamkeitsökonomie und Mediensucht aussehen kann.

Für den selbst ernannten Widerstandskämpfer Andree ist die komplette Resignation jedenfalls keine Option. „Unsere Demokratie kippt – ihre Feinde werden immer stärker und dreister“, sagt Andree gegenüber der taz. „Noch können wir uns wehren und die freien Medien retten. Wenn wir es nicht tun, haben wir bald amerikanische Verhältnisse in Deutschland und Europa.“

Nach Andrees Vorstellung brauchen wir eine digitale Öffentlichkeit, die nicht durch Reichweite, sondern durch Relevanz glänzt. Eine, in der nicht Plattformen die Regeln bestimmen, sondern demokratisch verhandelte Werte. Eine, die das Gemeinwohl im Blick hat, nicht die Gewinnmaximierung einzelner Profiteure. Und eine, in der wir dem etablierten Journalismus nicht beim Sterben zusehen, sondern ihn immunisieren gegen die Zerstörungswut der digitalen Monopole.

In der medienwissenschaftlichen Community, die nur selten in die Offensive geht, ist Andrees beunruhigende wie wohl polemische Streitschrift die Ausnahme. Sie zeigt, warum fundierte Medienkritik angebrachter ist denn je. Wer den „Krieg der Medien“ nachvollzieht, kann hinterher nicht sagen, er habe von alledem nichts gewusst. Doch so scharf Andree wachrüttelt: Eine konkrete Idee bleibt auch er schuldig, wie dieser Krieg nun gewonnen werden könnte. Was der Autor vorschlägt, ist nicht nur ambitioniert, sondern bleibt stellenweise vage.

Ja, es braucht eine strenge Regulierung, gute Bildungsarbeit, außerdem starke öffentliche und staatliche Investitionen. Aber es braucht vor allem eines: den Mut und die Einsicht von uns allen, die Dinge zu ändern.

Auch wenn sein Aufschrei gegen die Antidemokraten und Tech-Libertären wie ein Kampf gegen Windmühlen anmutet: Es gibt zwischen den beiden Extremszenarien totale Kapitulation (digitale Abhängigkeit) und militanter Aufstand (digitale Souveränität) nach wie vor einen schmalen Korridor, auf den auch immer wieder renommierte US-Technologiekritiker hinweisen.

Ihre Message deckt sich mit Andrees Warnrufen: Den Aufbruch müssen wir alle selbst in Gang setzen – in Redaktionen, Klassenzimmern, Parlamenten und auf den Servern europäischer Plattformalternativen wie dem Fediverse. Wenn überhaupt, lässt sich der Krieg der Medien auf diese Weise befrieden. Uns bleibt als Gesellschaft vielleicht nur noch eine Galgenfrist von wenigen Jahren, um uns im Hinblick auf die perfiden Abhängigkeiten des Tech-Imperialismus zu positionieren: All in oder Game over?

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