Bryan-Ferry-Konzert in Berlin: Er verzaubert sie alle
Wirf deine kostbaren Gaben in die Luft: In seinem Berliner Konzert verführt Bryan Ferry Männer und Frauen, Junge und Alte mit einer großen Show.
![](https://taz.de/picture/237367/14/imago_bryanferry.jpg)
Alle haben sich chic gemacht. Alle Generationen sind vertreten. Der Altersdurchschnitt liegt bei 50. Zwei Freundinnen, sicher gute siebzig, strahlen um die Wette. Eine von beiden trägt eine Frisur, die noch aus den Tagen von Punk stammen könnte.
Man scheut sich, bei ihrem Anblick so was wie "ältere Damen" auch nur zu denken. Als 1972 das erste Album von Roxy Music erschien, waren sie klug genug, dabeizusein, als Pop als eklektizistische, auf die eigene Geschichte reflektierende Kunst neu erfunden wurde.
Es sind die Hipster von 1972 bis heute, die sich hier versammelt haben. Die halbe Belegschaft des Salon Beige aus der Auguststraße ist anwesend, außer Geli, die ist krank. Aus London sind die Pet Shop Boys gekommen, um Bryan Ferry im Berliner Admiralspalast zu sehen, in einer klassischen Theaterkulisse ohne Bestuhlung, gleich neben dem Bahnhof Friedrichstraße.
Die Show geht los, von einer Sekunde auf die andere. Die vier Backgroundsängerinnen fangen zu singen an. Die Band beginnt zu spielen. Die beiden Tänzerinnen tanzen vor der großen Videoleinwand. Und Bryan Ferry, "conservative by nature", zeigt, wie man lässig in Anzug und Krawatte auf der Bühne steht. Es ist elektrisierend. Ein Licht wird angeknipst in den Leuten - im Saal, im Parkett, auf den Rängen. Die Menschen fangen an zu leuchten, von innen.
Ferry ist gelernter Künstler, Schüler von Richard Hamilton, gleichermaßen beeinflusst von Marcel Duchamp, Smokey Robinson und Andy Warhol. Er ist kein Entertainer, kein Geschichtenerzähler, kein Showman mit großen Gesten. Er plaudert nicht, und wenn er überhaupt mal was sagt, klingt es schüchtern. Wenn er sich bewegt, tut er es ist mit Eleganz und Understatement.
Begehrenswerter Dandy und Identifikationsfigur
Seine dandyhafte Ausstrahlung, good looks, Stimme fügen sich ein in ein Projekt, das größer ist als er selbst. Er wird Teil einer präzisen Maschine, einer komplizierten Choreografie aus Körpern, Instrumenten, Kleidern, Bildern, Stimmen, Bewegungen und Sounds, die etwas entstehen lassen, das zugleich cool und emotional, ironisch und direkt, distanziert und nah ist. Die einen identifizieren sich mit dieser Figur, für die anderen verkörpert er etwas Begehrenswertes.
Mit zwölf Männern und Frauen steht Ferry auf der Bühne. Die Männer der Band, die meisten im Alter Ferrys, er ist 66, tragen schwarze Anzüge und schwarze Krawatten. Nur der zweite Gitarrist Oliver Thompson, 21, hat lange Haare und ein buntes Hemd. Er holt aus seiner Gitarre Töne raus fast wie früher, als Gitarristen so spielten, als hätten sie gerade Sex.
Die charmante, vom Publikum sofort geliebte Saxofonistin Jorja Chalmers steht in Shorts auf der Bühne. Sie spielen Klassiker von Roxy Music, alte und neue Songs von Ferry und viele Coversongs. Sie spielen "Slave To Love", "Avalon", "If There Is Something", "All Along the Watchtower", "Like a Hurricane", "Love Is the Drug" und das immer wieder große "Editions Of You".
Gleich am Anfang gibt es "I put a spell on you" zu hören, womit schon klar ist, dass es hier um Verführung geht. Verführung findet auf fremden Terrain statt, ist très risqué und ein latent die soziale Ordnung gefährdendes Verhalten: "Some expressions in your eyes / Always took me by surprise".
Zugleich basiert unsere Ökonomie auf Verführung, und so blickt Ferry in Budapest, Wien und Berlin von Werbeplakaten einer Bekleidungsfirma herunter. Sein Berliner Konzert wird von einem großen Unternehmen "präsentiert", das seit Kurzem mit einer sehr gut gemachten Musikzeitschrift die Jungen und Klugen anzusprechen versucht, aber nicht verstanden hat, dass man so was in der guten Tradition des Mäzenatentums tun sollte: zurückhaltend.
Die Glitzeroutfits der beiden Tänzerinnen werden immer kürzer, je weiter der Abend fortschreitet. Sie tanzen mit eckigen Bewegungen, werfen ihre Arme in die Luft, schütteln ihre Haare und Brüste, und sehen dabei so lässig und souverän aus, als würden sie gerade telefonieren. "Shake your hair girl with your ponytail", besingt Bryan Ferry die Schwester der Verführung, die Freigiebigkeit. "Throw your precious gifts into the air".
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