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Archiv-Artikel

Brüssel: Deutschland muss nachsitzen

Die Bundesregierung hat die EU-Richtlinie zum Asylrecht bislang nicht umgesetzt – nun drohen Vertragsstrafen

BRÜSSEL taz ■ Politisch Verfolgte sollten sich genau überlegen, wo in Europa sie ihren Asylantrag stellen. Während zum Beispiel 84 Prozent aller geflüchteten Tschetschenen in Österreich als Asylbewerber anerkannt werden, haben in Frankreich nur 42 Prozent der Anträge Erfolg. Deutschland erkennt nur 23 Prozent der Asylbewerber aus der von Russland unterdrückten Kaukasusrepublik als politisch Verfolgte an. Das führt dazu, dass der Antragsdruck in denjenigen Ländern, die als besonders wohlwollend gelten, zunimmt.

Um „Asylshopping“ in die Länder mit günstigen Aufnahmebedingungen und den besten Sozialleistungen zu unterbinden, hatte die EU bereits im April Richtlinien verabschiedet. Gestern lief die Frist aus, in der die „Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen“, in nationales Recht hätten umgesetzt werden müssen. Doch bislang haben nur Estland, Litauen, Österreich, Frankreich, Slowenien und Luxemburg ihre Hausaufgaben gemacht. Den anderen Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, drohen Vertragsverletzungsverfahren.

Sobald Deutschland das EU-Recht umsetzt, werden die Bedingungen für Asylbewerber hierzulande günstiger. Denn die Richtlinie regelt auch die Rechte derjenigen, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, wie Bürgerkriegsflüchtlinge oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung Verfolgte. Ein Anspruch auf Asyl kann sich zum Beispiel daraus herleiten, dass eine Frau in ihrem Heimatland Angst vor Genitalverstümmelung hat oder dass ein Homosexueller Verfolgung fürchten muss.

Für anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge mit besonderem Status regelt die Richtlinie, welche Aufnahmebedingungen sie zumindest erwarten dürfen. Das bezieht sich zum Beispiel auf die Aufenthaltsgenehmigung, das Recht auf Erziehung und Ausbildung, die Krankenversorgung, auf Familienzusammenführung und den Anspruch auf Integrationsmaßnahmen. Deutschlands Verhandlungsführer, der damalige Innenminister Otto Schily, hatte das Gesetz nur widerwillig mitgetragen, da einige Regelungen weit über Rechte hinausgehen, die derzeit in Deutschland Flüchtlingen und Asylbewerbern zugebilligt werden. Kein Wunder also, dass die Bundesregierung mit der Umsetzung der Richtlinie nicht vorankommt.

DANIELA WEINGÄRTNER