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Brückenkopf im Kulturkampf

In der österreichischen Kunstwelt regt sich eine junge, elektronisch vernetzte Aktivistengeneration gegen rechts. Die Kunst der Stunde ist . . . „Get To Attack“. Selbst das Modell vom Patchwork der Minderheiten scheint wieder zu funktionieren ■ Von Jörg Heiser

Die typische Nachmittags- und Abendgestaltung nicht zuletzt auch jüngerer Wiener Kunstleute darf man sich momentan so vorstellen: sich entweder schon um 17 Uhr am Ballhausplatz im Regierungsviertel einfinden oder später per Internet, Hotline oder Handy-SMS über den aktuellen Standort der täglichen „Wanderungen“ durch die Wiener Wohnbezirke erkundigen, um sich dann den oft mehreren tausend DemonstrantInnen noch anzuschließen. Ähnlich wie schon bei den Anti-WHO-Aktionen in Seattle macht sich eine Veränderung in der Demonstrationskultur bemerkbar: Der traditionelle Post-68er Studi-Platzhirsch mit Dutschke-Anwandlungen und Megafon-Stimme, der sagt, wo's lang geht, wird durch eine dezentrale, unaufgeregte elektronische Vernetzung überflüssig gemacht; an die Stelle von zusammengerufenen homogenen Massen tritt das Patchwork der Minderheiten, das schon längst an Benetton und MTV verkauft schien. „Nokia – Connecting People“: endlich macht der Werbespruch Sinn.

Wie seltsam unbewegend und symbolisch entleert wirken dagegen die aktuellen staatsmännischen Überlegungen im Großkulturbetrieb. Gehen oder bleiben? Absagen oder nicht absagen? Der in Frankreich lebende ehemalige österreichische Staatskurator Robert Fleck ruft noch am Tag der Koalitionsbildung in einer allseits verschickten E-Mail- und Fax-Botschaft zum Totalboykott der österreichischen Kunstwelt auf; Valie Export erwägt zunächst, die Annahme des Kokoschka-Preises abzulehnen; Thaddeus Ropac, der in Salzburg und Paris große Galerien betreibt, gibt bekannt, er werde seinen Hauptwohnsitz an die Seine verlegen.

In der österreichischen Kunstwelt kommt nicht nur ein technologischer Paradigmenwechsel zum Ausdruck, sondern auch einer der Generationen: Während die Jüngeren beinahe selbstverständlich zum Widerstand übergehen, kennt ein Großteil jener, deren Kunstverständnis sich noch in Zeiten des Kalten Kriegs bildete, offenen Dissens mit dem Herrschenden nur in symbolischen, einsam überhöhten Gesten der Negation: Absage, Eklat, Rückzug.

Noch am Wahlabend tat sich eine Gruppe von KünstlerInnen und KritikerInnen unter dem Slogan „Get To Attack“ zusammen, der nun unter anderem als Logo an der Hochschule für Angewandte Kunst auf einem riesigen Banner prangt, auf dem in großen Lettern steht: „Die Kunst der Stunde ist der WIDERSTAND“.

Genau, die Kunst der Stunde ist der Widerstand. Punkt. Get To Attack, getto attack, raus aus dem Ghetto Kunst. Raus aus dem Sandkasten linker Distinktionsgefechte, rein in die Praxis des Ausprobierens von Öffentlichkeitsbildung.

Die seit Mitte der Neunziger zunehmend unenthusiastischere Beschäftigung mit Medien-, Politik- und Kunsttheorien bekommt auf einmal etwas überraschend Praktisches, man entdeckt klassisches Demonstrieren und klandestine Medienarbeit wieder und vermeidet offenbar zugleich die alten „Wer gehört dazu?“-Spielchen der Kaderbildung oder das Ausspielen von „Politkunst“ gegen weniger direkt sich formulierende Ausdrucksweisen.

Mit Gruppen wie SOS-Mitmensch oder Demokratische Offensive wird auch ohne komplette politische oder lebensstilistische Übereinstimmung zusammengearbeitet, damit die Reihe der allabendlichen „Wanderungen“ nicht abbricht. An die Stelle von Selbstverwechslung des Künstlerischen mit staatsmännerhafter Dekret-Politik tritt im „Get To Attack“-Zusammenhang ein moderner Pop-Begriff von Selbstermächtigung. „Get To Attack ist ein Label, das jeder verwenden kann – es gibt nur die Bitte um Kontakt und Auseinandersetzung“, sagt Meike Schmidt-Gleim, Künstlerin und eine der „Label“-Gründerinnen, und sie fügt nicht ganz unironisch an: „Jeder wird auf sich selbst zurückgeworfen wie bei der Psychoanalyse.“

Inzwischen hat sich um den Gründungskreis von acht bis zehn Leuten ein Umfeld von ca. 100 bis 200 Leuten gebildet, das sich mehr oder weniger aktiv beteiligt, dazu kommt ein weiterer Kreis von ca. 800 Leuten, die sich in die Mailing-Liste eingetragen haben. Wer allerdings auf Ablasshandel per E-Mail hofft, sich also Frontschweine aus der situationistischen Kunstloge vorstellt, die stellvertretend den Widerstand erledigen, sieht sich enttäuscht.

„Es geht nicht darum“, erklärt Meike Schmidt-Gleim, „eine weitere Institution zu werden, sondern die bestehenden zu politisieren.“ Das darf man besonders in Wien auch ganz konkret auf die Kunstinstitutionen beziehen, die nicht nur im internationalen Ausstellungsbetrieb beliebte Andockstationen sind, sondern auch das Stadtbild für Kulturtouristen mitprägen – wenn bei der Sezession am Karlsplatz drinnen Videokünstlerin Diana Thater ausstellt, bestaunen draußen Touristen die viel fotografierte Jugendstilarchitektur. Es wäre also nicht nur ein lokales Statement, wenn sich die Institutionen auf „Die Kunst der Stunde ist der Widerstand“ einigen könnten als gemeinsamem Slogan an allen Fassaden.

Aber so einfach sind die langjährig gepflegten Abgrenzungsbedürfnisse zwischen unabhängigen kleineren Kunstorten und den großen staatlichen Kolossen (vor allem den beiden Museen für Moderne und Angewandte Kunst) nicht zu überbrücken. Die von der Größenordnung dazwischen angesiedelte, überwiegend städtisch finanzierte Kunsthalle verkündete auf einem informellen Treffen der Kunstszene, dass man ein eigenes Großplakat mit dem Spruch „Nie Schweigen. Nie“ machen wolle. „Aber was sagen?“, warf darauf Marko Lulic, Künstler aus dem „Get to Attack“-Zusammenhang, nicht ganz unberechtigt ein.

„Eine mögliche konzertierte Aktion ist noch im Anfangsstadium“, dämpft denn auch Matthias Herrmann, Präsident der Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession, die Hoffnungen. „Wir haben leider sehr viel Zeit“, formuliert er in wienerischem, nihilistisch zurückgelehntem Zweifel am schnellen Ende der schwarz-blauen Regierung. Die Secession plant eine 27 qm große Fläche an der Außenfassade, die von Joseph Kosuth, Dorit Margreiter, Paul McCarthy und Franz West bespielt werden soll – man darf also mit künstlerischen Äußerungen rechnen, die nicht ganz den Vorstellungen vom „Forschungsschwerpunkt Volkskultur“ und der „Förderung der kulturellen Ausdrucksform der Regionen“ entsprechen, die in der offiziellen Regierungserklärung angedroht werden.

Doris Rothauer, künstlerische Leiterin des Künstlerhauses (eine wie Secession und Kunsthalle überwiegend von Staatsgeldern unabhängige Institution), ist längst konfrontiert mit den skeptischen Anfragen von KünstlerInnen aus dem Ausland, die sie zur im März/April stattfindenden Ausstellung „Sounds & Files. Elektronische Musik und ihre visuellen Aspekte“ eingeladen hat. „Wenn man den Leuten die Situation erklärt und ihnen die Möglichkeit gibt, Statements abzugeben, sind sie bereit mitzumachen.“ Aber eine Solidarisierung der Institutionen hält auch sie unabhängig davon für notwendig. Bloß scheint die Bereitschaft dazu mit zunehmender Staatlichkeit der Institutionen abzunehmen. Lorand Hégyi, Direktor des Museums für Moderne Kunst, erklärte zwar gegenüber der französischen Tageszeitung Libération, man habe nicht das Recht, „die Kultur der extremen Rechten, die an der Macht ist, auszuliefern“ ,und „die kulturellen Institutionen“ müssten der Ort „des moralischen Widerstandes gegen den Populismus“ sein. Wie dieser „moralische Widerstand“ allerdings vom business as usual zu unterscheiden sein soll, wenn in den letzten Jahren auch sonst nicht gerade kämpferisch zum Rechtsruck in Österreich Stellung genommen wurde, bleibt bislang offen.

Das ist umso gefährlicher, als die neue Regierung jede nicht vollends eindeutige Distanzierung als Zustimmung zu lesen wissen wird. „Die Normalisierung muss unbedingt verhindert werden“, sagt Meike Schmidt-Gleim, und deshalb dringen Leute aus dem „Get To Attack“-Zusammenhang wohl auch so darauf, das Unbehagen am „wir“ der Kunstwelt für einen Minimal-Konsens aufzugeben. Und der bestünde nun mal – im Widerstand gegen die rechte Regierung.

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