Bruce Springsteens neues Album: Gestern war es besser
Bruce Springsteen ist wütend. Das kann man hören, auf seinem neuen Album - mit kämpferischen Songs über den kaputten amerikanischen Traum.
Das Wall Street Journal hat die Gefahr bereits absorbiert. Das Zentralorgan der amerikanischen Banker besprach zu Beginn der Woche als eines der ersten großen Presseorgane Bruce Springsteens neues Album „Wrecking Ball“ und analysierte nicht einmal besorgt: Der große alte Mann der amerikanischen Rockmusik habe sich „die Finanzwirtschaft als herausragenden Gegner“ ausgesucht.
Tatsächlich: Springsteen mag noch nie ein Großmeister der Grautöne gewesen sein, aber so eindeutig wie auf seinem 17. Studio-Album waren die Rollen noch nie verteilt. Die da oben sind schuld, denen da unten geht’s scheiße. Und: Das ist nicht in Ordnung. „The banker man grows fat, working man grows thin“, heißt es in „Jack of All Trades“. Der mittlerweile 62-Jährige grummelt es eher, als dass er es singt. Später nuschelt er dann: „If I had me a gun, I’d find the bastards and shoot ’em on sight.“ Ja, der Boss ist richtig sauer.
Diese verzweifelte, aber immer noch kämpferische Klage über die Macht der Banken, über Geschäftemacher, die sein Land zugrunde gerichtet haben, zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. „Easy Money“ heißt ein Song. „Gambling man rolls the dice / Working man pays the bill / It’s still fat and easy up on banker’s hill“, wüted Springsteen in „Shackled and Drawn“. Trotzdem kommt der Rezensent des Wall Street Journal zu einem versöhnlichen Fazit: „Wrecking Ball“ sei „ein Triumph“. Und gar nicht so gefährlich, denn Springsteens neues Opus stärke schlussendlich „traditionelle christliche und amerikanische Ideale“.
Das mag so sein. Allerdings propagiert Springsteen dann wohl doch andere Ideale, als sie an der Wall Street vorherrschen. Bei einer Pressekonferenz in Paris in der vergangenen Woche ließ er keinen Zweifel an seiner politischen Stoßrichtung: „Was unserem Land angetan wurde war falsch und unpatriotisch und unamerikanisch“, zeterte er mit Blick auf die Finanzwirtschaft und die abgewählte Bush-Administration, „und niemand ist dafür bislang zur Rechenschaft gezogen worden.“
Ausdrücklich erwähnte er Occupy Wall Street als positiven Impuls, die gesellschaftliche Starre in den USA aufzulösen. Die Bewegung hätte „die nationale Agenda verändert, die zuvor von der Tea Party bestimmt war“.
Was „amerikanisch“ ist
Auf Springsteens Agenda steht es schon lange, die Deutungshoheit über das „Amerikanische“ zurück zu erlangen. Ein Projekt, das 2005 mit „Devils & Dust“ begann, mit dem Springsteen erste Zweifel anmeldete an der patriotischen Allianz, in die er sich widerspruchslos mit dem Post-9/11-Album „The Rising“ eingereiht hatte. Ein Jahr später folgte „We Shall Overcome: The Seeger Sessions“, auf dem er über das Nachspielen alter Folk-Klassiker den amerikanischen Traum als Arbeiterrecht reklamierte.
Das anschließende „Magic“ mit seinen Geschichten von Verlierern, Außenseitern und Gescheiterten ließ sich lesen als Zustandsbeschreibung einer Nation in einem ungeliebten Krieg. Vor drei Jahren begrüßte er mit „Working on a Dream“ weniger die Ankunft von Obama, den er im letzten Wahlkampf unterstützte, als das Ende der Ära Bush.
Dieses Projekt findet nun mit „Wrecking Ball“ seinen vorläufigen Abschluss. Und damit er nicht missverstanden wird, wie es ihm mit „Born in the U.S.A.“ passiert ist, das, obwohl ein Anti-Vietnamkriegs-Song, als Hymne des ersten Golfkriegs missbraucht wurde, laufen im Videoclip zur ersten Single-Auskopplung „We Take Care of Our Own“ mitten durch die Schwarz-Weiß-Bilder von Obdachlosen und leerstehenden Häusern, abgehärmten Gesichtern und hoffnungsvollen Kinderaugen die Texte: „Where is the promise from sea to shining sea?“ – in Anspielung auf ein populäres Lied, das die USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten preist.
Dieses Versprechen, so Springsteen in Paris, ist gebrochen worden: „Es gibt keine Vereinigten Staaten, wenn du einigen Menschen sagst, sie dürfen nicht mit auf den Zug springen.“ Mit seinen neuen Songs reaktiviert er seine Lieblingsrolle als Volkstribun, der denen da oben mal erklärt, wie der wahre Amerikaner da unten lebt. „Hard times come and hard times go“, singt Springsteen im Titelsong, in dem er den Abriss des Giants Stadium in seinem Heimatstaat New Jersey erzählt. Das Stadion, in dem vor allem Football gespielt wurde, verschwand 2010 und wurde ersetzt durch eine hochmoderne Entertainment-Arena, während auf dem alten Ort Parkplätze entstanden: „All our little victories and glories have turned into parking lots.“
Eintauchen in die Vergangenheit
Das Alte, Bewährte, so die Botschaft, muss verschwinden, wenn es der Kapitalismus so will. Aber das ist falsch. Eine Haltung, die auch in der Musik des neuen Albums reflektiert wird. Manager Jon Landau, der Springsteen einst legendärerweise zur Zukunft des Rock‘n‘Roll erklärt hatte, versprach, das neue Album seines Schützlings sei dessen „musikalisch innovativstes der letzten Jahre“. Dazu haben Springsteen und sein Produzent Ron Aniello erst einmal der E Street Band eine Pause verordnet. Nur einzelne Mitglieder kommen sporadisch zum Einsatz, der im vergangenen Jahr verstorbene Clarence Clemons grüßt mit einem Saxophon-Solo aus dem Grab.
Stattdessen hat Aniello moderne Technik genutzt, um manche Songs mit elektronischen Sounds und Computer-Beats aufzupeppen. Doch natürlich ist aus „Wrecking Ball“ trotzdem kein Techno-Album geworden, denn mit noch viel größerer Lust taucht Springsteen ein in die Vergangenheit. Dort liegen seine Bezugspunkte, dort, in einem besseren Gestern will er sich verorten.
Fast scheint es, als sollte „Wrecking Ball“ ein Landkarte entwerfen, die den Weg weist zu den glorreichsten Momente in der Geschichte der populären Musik Amerikas, zu Country, Folk, Rock. Auch zu Soul und Gospel, die so ausführlich wie noch nie bei Springsteen auftauchen. Am Ende von „Land of Hope and Dreams“ stimmt eine Frauenstimme sogar Curtis Mayfields schwarze Selbstermächtigungshymne „People Get Ready“ an.
Er besetzt die Musiken
Springsteen besetzt diese Musiken, so wie die Protestierer die Wall Street besetzt haben. Beides hat vor allem eine symbolische Bedeutung. Ob in dem eher optimistischen „Shackled and Drawn“ mit seiner von Fidel und Banjo gestützten Jahrmarktsstimmung oder im elegischen, auf Klavier, Streicher und Posaunenchor bauenden „Jack Of All Trades“: Immer wieder bezieht sich Springsteen auf die „Seeger Sessions“ und damit auf die Protest-Song-Tradition der USA, die noch vor Woody Guthrie oder Seeger zurückreicht.
Noch weiter zurück geht die musikalische Reise in die glorreiche amerikanische Vergangenheit in „Death to My Hometown“: Während Springsteen berichtet, wie der globalisierte Kapitalismus eine Stadt zerstört, wie mit der Fabrik zuerst die Arbeit und dann auch die Würde verschwindet, jubilieren die Spielmannsflöten, als käme gerade die Kavallerie zur Rettung angeritten.
Am Ende des Albums steht das bereits sechs Jahre alte „American Land“, ein Song, der längst fest zu seinem Live-Programm gehört. Über einen Marschrhythmus und mit hemmungsloser Fröhlichkeit fordert Springsteen all die illegalen und legalen Einwanderer aus Mittel- und Südamerika auf, es „the Irish, the Italians, the Germans and the Jews“ nach zu tun.
Die kamen einst mit leeren Bäuchen über das große Wasser in dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das es niemals gegeben hat, das lange aber wenigstens ein funktionierendes Versprechen war. Das Lied verspricht: Das Land liegt immer noch hier, „ready for the taking of every working man“. Das alte Versprechen wird erneuert: „Make your home in die American land“. Wie sie das in der Wall Street wohl wirklich finden?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an