: Brosamen für den Kiez
betr.: „Alle meckern, bis die neuen Ideen tot sind“, taz vom 25./26. 9. 99
Vom Informationswert her ist Ihr Bericht über die Diskussionsrunde zum Thema „Quartiersmanagement“ leider nicht ergiebiger ausgefallen als all die vorhergegangenen Veranstaltungen, die sich dieser Problematik zu nähern versuchten, da auch immer die gleichen Interessengruppen, bestenfalls in veränderter Besetzung, meinen sich zu Wort melden zu müssen. [...] Was die selbst ernannten Kritiker angeht, die sich da immer wieder in den Vordergrund drängen, fehlt es mir aber doch am nötigen Verständnis, da sie mit Sicherheit nicht den betroffenen Personengruppen zuzurechnen sind, die laufenden Maßnahmen des Quartiersmanagements tangieren sie bestenfalls nur marginal. Das wäre überhaupt kein Problem, wenn es denn gewollt würde, sich auch einmal mit den Kiezbewohnern, auf die die Maßnahmen des Quartiermanagements zielen, zu diesem Thema zu hören. Dabei könnten dann auch die wirklich wichtigen Fragen erörtert werden, zum Beispiel die, warum sie die Schuldigen an der Entstehung von Armutsquartieren sein sollen, wie vom Stadtentwicklungssenator behauptet wird. Aus der Sicht des Senators ist Armut die Folge von Erwerbslosigkeit und Erwerbslosigkeit im Fehlverhalten der Betroffenen verursacht. Folgt man dieser Argumentation, so ist dann Armut kein soziales, sondern ein individuelles Problem und Armut somit eine Präferenz der Individualität. [...] Das bedeutet, dass die Armen durch administrative Maßnahmen gezwungen werden müssen, sich den Anforderungen der Unternehmer unterzuordnen und ihnen somit elementare Bürgerrechte vorenthalten werden.
Durch das Quartiermanagement will man jetzt den Hauptproblemen dieser Armutsquartiere zu Leibe rücken. Das heißt, dass nicht etwa die Armut behoben wird, sondern es soll dem Verfall, der Verwahrlosung, dem Alkoholismus und der Gewalt Einhalt geboten werden. Für dieses Vorhaben stellt der Senat 300.000 Mark den Managern für die betreffenden Stadtteile zur Verfügung. Von dieser Summe werden erst einmal die Gehälter des Quartiermanagement und alle administrativen Maßnahmen bezahlt und man braucht kein Rechenkünstler zu sein, um vorauszusehen, dass außer ein paar gut dotierten Jobs fürs Management höchstens ein paar Brosamen für den Kiez übrig bleiben, um ein bisschen Kosmetik zu betreiben. Mit dieser Windmacherei will der Senat davon ablenken, dass er die Stadtentwicklung seit dem Mauerfall total verschlafen hat, dass die Investoren in der Stadt das Sagen haben. Und denen ist das Gemeinwohl einer Kommune bekanntermaßen egal.
Die Prägung erfährt ein Stadtteil durch die soziale Struktur seiner Bewohner. Je mehr seine Bewohner in den unteren Lohngruppen beschäftigt sind, je drastischer steigt wegen der gegenwärtigen negativen Arbeitsmarktsituation die Erwerbslosenquote. Je heftiger ein Stadtteil von dieser Entwicklung betroffen wird, je mehr wird Armut sichtbar durch die Verwahrlosung des öffentlichen Raums. In dieser Situation setzt dann naturgemäß die Fluktuation derjenigen Bewohner ein, die es sich dank ihres Einkommens leisten können. [...]
In der Vergangenheit hat es sich erwiesen, dass Quartiere, die lange Zeit von der Verwaltung links liegen gelassen wurden, sich nach und nach durch das Engagement ihrer Bewohner zu einem durchaus eigenen und eigenständigen Lebensraum entwickelten, und erst als dadurch die Attraktivität für Investoren wieder gegeben war, wurden diese Quartiere kaputtsaniert. Sollte Quartiersmanagement wirklich Sinn machen, so gilt es, vor allem diese Entwicklung zu verhindern. Da aber parteiübergreifend Bestrebungen im Gange sind, in Berlin mehr und mehr kommunalpolitische Aufgaben zu privatisieren und somit Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben werden, wird sich die Situation für die Quartiere nur noch verschlechtern. Dr. Constanze Kube
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen