■ Britisches Oberhaus bestätigt Sadomaso-Urteil: England bleibt moralisch sauber
London (taz) – Welche sexuellen Praktiken moralisch einwandfrei sind, bestimmt in England der Staat. In einem Präzedenzfall verwarf das Oberhaus am letzten Donnerstag mit einer 3:2-Mehrheit die Berufung von fünf Homosexuellen, die in ihren eigenen Schlafzimmern Sadomasochismus praktiziert hatten. Einer der Richter, Lord Lowry, sagte in der Urteilsbegründung: „Sadomasochistische homosexuelle Aktivitäten fördern weder das Familienleben noch das Wohl der Gesellschaft.“ Die Anwälte der Männer wollen den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.
Gemeinsam mit elf anderen Angeklagten waren die fünf im Dezember 1990 zu Freiheitsstrafen bis zu viereinhalb Jahren verurteilt worden. Der Schauprozeß war Teil der 3 Millionen Pfund teuren „Operation Spanner“, die 1987 ausgelöst worden war, nachdem der Polizei ein privates SM-Video in die Hände gefallen war. Im Zuge der Operation wurden 100 Homosexuelle verhört und 42 von ihnen schließlich aufgrund eines Gesetzes von 1861 wegen Körperverletzung angeklagt. Da ihnen außerdem „Verschwörung zur Korrumpierung öffentlicher Moral“ vorgeworfen wurde, mußte der Fall vor dem Londoner Old Bailey verhandelt werden. Bereits am ersten Verhandlungstag wurde die Verschwörungsanklage jedoch fallengelassen.
Im Februar vergangenen Jahres milderte das Berufungsgericht die Strafen zwar ab, hielt den Schuldspruch jedoch aufrecht. „Die Befriedigung der sadomasochistischen Libido fällt nicht in die Kategorie der guten Gründe für Tätlichkeiten“, urteilte Lordrichter Lane, der mit spektakulären Fehlurteilen schon wiederholt bewiesen hat, daß er zu den unfähigsten Juristen der englischen Rechtsgeschichte gehört. Das Gericht berief sich auf einen obskuren Fall aus dem Jahr 1980, in dem zwei Jugendliche verurteilt worden waren, weil sie sich zu einer Prügelei verabredet und leichte Verletzungen davongetragen hatten. Die Verteidigung hatte argumentiert, daß sämtliche SM-Aktivitäten mit dem Einverständnis aller Beteiligten geschehen waren und niemand bleibende Schäden davongetragen hatte und daß die Videos nachweislich nur für private Zwecke gedreht worden waren. Außerdem konnten die Angeklagten gar nicht wissen, daß sie sich strafbar gemacht hatten, weil es bis dahin noch nie eine Anklage wegen Sadomasochismus gegeben hatte.
Die ermittelnde Polizeieinheit für obszöne Publikationen (OPS) machte sich 1987 die Stimmung in England zunutze: Nach dem Sexualmord an einem Kind und den Gerüchten über „Snuff Movies“, bei denen Menschen angeblich vor laufender Kamera getötet werden, befand sich das Land im Zustand „moralischer Panik“, wie es der Soziologe Stanley Cohen ausdrückte. Die OPS brachte SM geschickt in Verbindung mit Pädophilie und Mordvideos. „Das war direkter Bestandteil des Angriffs auf Homosexuelle, der mit der Aids-Krise begann“, sagte der SM- Aktivist Kellan Farshea.
Das Oberhaus-Urteil im Spanner-Fall öffnet weiteren Polizeiaktionen gegen „abweichende Randgruppen“ (Cohen) Tür und Tor. In keinem anderen Land Europas überwacht die Polizei das Sexualverhalten der Bevölkerung mit solchen Argusaugen wie in England. Das Urteil bedeutet, daß in Zukunft theoretisch sogar Knutschflecken zu einer Anklage führen können. „Indem sie die Ängste und Vorurteile fördern und etwas auslösen, das man nur als moderne Hysterie beschreiben kann“, sagte der Rechtsanwalt Angus Hamilton, „unterminieren sie eben diese zivilisierte Gesellschaft, die sie zu schützen vorgeben.“ Ralf Sotscheck
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