Britischer Parlamentspräsident: Schillernde Figur wird Speaker
Mit den Stimmen der Labourabgeordneten wird der konservative John Bercow neuer Parlamentspräsident. Tory-Chef Cameron hält ihn für einen verkappten Labour-Anhänger.
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Fast wäre er zu spät gekommen. Der Tory-Abgeordnete John Bercow landete am Montagmorgen erst kurz vor der Wahl des neuen Parlamentspräsidenten mit einem Hubschrauber vor dem Londoner Parlament. "Es waren die besten tausend Pfund, die ich jemals ausgegeben habe", sagte er, nachdem er sich nach einer Marathonwahl am Abend den Job gesichert hatte.
Wenn einige der Kandidaten nach dem zweiten Wahlgang nicht freiwillig ausgeschieden wären, hätte die Wahl bis zum Morgengrauen gedauert, denn der Sprecher muss mindestens 50 Prozent der Stimmen gewinnen. Die hatte Bercow erst im dritten Wahlgang, den er mit 321 zu 271 Stimmen gegen den "radelnden Tory-Baron" George Young gewann.
Bercows Wahl wurde von den Labour-Abgeordneten mit frenetischem Applaus begrüßt, während die Tories regungslos auf ihren Stühlen sitzen blieben. Sie hassen ihren Parteigenossen und beschuldigen die Labour-Regierung, Bercow gewählt zu haben, um Tory-Chef David Cameron eins auszuwischen. Der hält Bercow nämlich für einen verkappten Labour-Anhänger. Ein Mitglied der Regierungspartei soll zu Cameron nach der Wahl gesagt haben, dass er zum ersten Mal für einen Tory gestimmt habe, worauf Cameron geantwortet habe: "Bercow zählt nicht." Die Tory-Hinterbänklerin Nadine Dorries sagte: "Das war ein gestreckter Mittelfinger der Labour-Regierung ans Volk." Nur drei Tories sollen für Bercow gestimmt haben, was sich nicht beweisen lässt, weil die Wahl erstmals geheim war.
Danach erklärte Bercow, dass er alle politischen Statements, die er jemals abgegeben habe, zurücknehme. Cameron meinte sarkastisch: "Ich hoffe, dass er wirklich alle meint." Bercow hat genügend Gründe, viele seiner Äußerungen zurückzunehmen. Als 19-Jähriger gehörte er dem extrem rechten "Monday Club" an, der Immigranten nach Hause schicken wollte, auch die aus dem Commonwealth. Später war er Vorsitzender des Verbands konservativer Studenten, der von der Parteiführung aufgelöst wurde, weil er eine Pro-Apartheid-Kampagne mit dem Slogan "Hängt Mandela" geführt hatte.
Bercows Wandlung begann vor sieben Jahren, als er Sally Ingham heiratete, eine Labour-Aktivistin, die früher ebenfalls zum rechten Rand der Tories gehörte. "Das Problem mit John ist, dass er Sex und Labour zur selben Zeit entdeckt hat", sagte ein Tory-Abgeordneter. Inzwischen tritt Bercow als einziger Tory für Unterhaus-Kandidatenlisten ein, die ausschließlich aus Schwarzen bestehen. "Selbst ein relativ junger Mann kann mit der Zeit Weisheit erlangen", sagt er. Mit 46 Jahren ist er der jüngste Parlamentspräsident seit 170 Jahren und der erste Jude auf diesem Posten. Die Wahl war nötig geworden, weil Michael Martin aufgrund des Spesenskandals zurücktreten musste. Diese Affäre wird auch Bercow beschäftigen, denn die Wut der Wähler auf ihre geldgierigen Parlamentarier ist längst nicht verflogen. Vorige Woche wurde sie noch einmal angeheizt, als die Regierung die Spesenabrechnungen aller Abgeordneten der letzten vier Jahre veröffentlichte. Die meisten Seiten waren geschwärzt. Eine saubere Weste hat auch Bercow nicht. 2003 hat er die Kapitalertragssteuer für den Verkauf von zwei Häusern hinterzogen. Als der Spesenskandal aufflog, zahlte er das Geld geschwind.
Als Parlamentspräsident muss Bercow eigentlich nur die Unterhausdebatten leiten, aber im derzeitigen Klima erwartet man von ihm, dass er eine Spesenreform anschiebt. Er will den Ruf des Parlaments wiederherstellen: "Ich glaube immer noch, dass die meisten in diesem Haus ehrliche Leute sind, die nicht in die Politik gegangen sind, um ihre Taschen zu füllen, sondern dem Ruf gefolgt sind, der Öffentlichkeit zu dienen," sagt er.
Nach der Wahl zerrten ihn zwei Abgeordnete zu seinem Stuhl. Diese Tradition stammt aus Zeiten, als der Speaker dem König die Meinung der Abgeordneten überbringen musste. Gefiel sie ihm nicht, zahlte der Ärmste mit dem Leben. Derzeit muss Bercow nicht die Queen, sondern das Volk fürchten.
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