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Britische ÜberwachungskamerasDie Kamera weiß, was verdächtig ist

Kameras, die von sich aus Alarm schlagen? Klingt nach Unsinn oder Science Fiction. Doch im Portsmouth sind nun Kameras im Einsatz, die automatisch "verdächtiges" Verhalten registrieren.

Schön in Normalgeschwindigkeit bewegen - sonst schlägt die Kamera Alarm! Bild: photocase.de

4,2 Millionen Videokameras im öffentlichen Raum soll es im überwachungsfreudigen Großbritannien schon geben. Nun kommen im britischen Städtchen Portsmouth noch ein paar dazu - und zwar welche, die nicht nur aufzeichnen, sondern laut Hersteller "verdächtiges Verhalten" erkennen können.

Auch wenn sicherheitsversessene Politiker schon immer die abschreckende Wirkung von Videoüberwachung im öffentlichen Raum gepriesen haben: Pferdefuß von flächendeckender Kameraaufzeichnung war bislang immer, dass man damit streng genommen überhaupt keine Straftaten verhindert, sondern nur bei ihrer Aufklärung hilft. Nach Darstellung des Herstellers Smart CCTV soll sich das mit dem Überwachungssystem namens "Perceptrak" nun grundlegend ändern: Damit sollen Verbrechen noch vor der eigentlichen Tat erkannt und hoffentlich verhindert werden können.

Das hört sich nach Science Fiction an, meint aber eigentlich nur, dass die Kameras nicht nur aufzeichen, was im öffentlichen Raum passiert, sondern mithilfe komplexer Algorithmusberechnungen "verdächtige Verhaltensweisen" erkennen können. Geeicht sind die Kameras auf 18 verschiedene Parameter wie "aufeinandertreffende Personen", "Bildung einer Menge", auffällig schnelle oder langsame Fahrzeuge oder "herumlungernde Person". Sobald die Kamera eine Kombination dieser Parameter wahrnimmt, wird "Alarm" ausgelöst: Die auffälligen Personen und Objekte, die von der Videokamera aufgezeichnet werden, werden auf den Bildschirmen in einem Kontrollraum rot umrandet dargestellt, um dort sitzendes Personal auf die Auffälligkeit aufmerksam zu machen. Die Einschätzung, ob die Situation tatsächlich verdächtig ist und ob die Polizei alarmiert werden muss, trifft das Wachpersonal im Kontrollraum - unterstützt vom Kamerasysteme.

Kurz: Auch wenn der Hersteller es gerne anders darstellen möchte, ist es nicht so, dass superintelligente Überwachungskameras Verbrecher im Alleingang schnappen. Bedenklich wohl auch, dass vollkommen legale und alltägliche Verhaltensweisen wie das Zusammentreffen mehrerer Menschen oder Warten, das wahrscheinlich schnell als "Herumlungern" interpretiert werden kann, als "verdächtig" eingestuft wird.

Bedenken wie diese scheinen jedoch im britischen Portsmouth, wo das angeblich präventive Überwachungssystem seit wenigen Wochen im Einsatz ist, keine Rolle gespielt zu haben. Die gesamte "Perceptrak"-Technik stellte die Smart CCTV für die Testphase kostenlos zur Verfügung - wohl sicherlich auch als Promotion-Maßnahme und in Erwartung eines späteren, flächendeckenden Einsatzes.

Die Stadtverwaltung von Portsmouth feiert das angeblick präventive Überwachungssystem, das in Kontrollräumen die Aufnahmen von 142 Kameras rund um die Uhr auf über 24 Bildschirmen überwacht, jedenfalls als "fantastische Entwicklung". Überwacht werden Parkplätze, Gebäudekorridore, Treppen und Straßen. "Das Perceptrak-System ist das Gegenstück zu einem Nachtwächter im 21. Jahrhundert. Aber im Gegensatz zu einem Nachtwächter blinzelt es nie, macht niemals Pause und langweilt sich nicht", schwärmt Jason Fazackarley, für Sicherheitsfragen verantwortlicher Stadtrat von Portsmouth, gegenüber der Zeitung Daily Mail.

Natürlich gibt es aber auch Kritiker, die vor einer weiteren unzumutbaren Verschärfung der Überwachungssituation warnen. "Diese Technologie macht es dem Staat nur noch einfacher, jeden einzelnen Schritt der Menschen zu beobachten", kritisierte ein Sprecher der britischen Bürgerrechtsorganisation Liberty - und zog einen Vergleich zwischen dem Perceptrak-System mit ähnlicher Technologie aus dem Science Fiction-Film "Minority Report". Auch in dem Tom-Cruise-Film wurden Menschen festgenommen, bevor sie geplante Straftaten begehen konnten.

Auch wenn Smart CCTV-Firmenchef Nick Hewitson diesen Vergleich nicht völlig von der Hand weisen möchte, mag er im Peceptrak keinen weiteren Eingriff in die Privatsphäre der Briten erkennen. Die Fähigkeit der Software, auf potentielle Verbrechen aufmerksam zu machen, stellt in seinen Augen sicher, dass "sehr viel mehr Orte überwacht werden, als es normalerweise möglich ist".

Ein Vorteil, in dessen zweifelhaften Genuss schon schon andere Städte gekommen sind: So kam diese Technologie bereits in verschiedenen US-amerikanischen Städten, darunter auch New York, und in der Londoner U-Bahn bereits zum Einsatz.

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7 Kommentare

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  • N
    Name

    Der wahre Horror tritt dann ein, wenn ein wirklich faschistisches Regime an die Macht käme wo diese diese ganze Technik einsetzen würde. Man stelle sich vor, ein die Nazis hätten die heutigen Möglichkeiten damals schon gehabt.

    Das wäre der totale Albtraum!

  • MB
    Markus Berger

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Schließe mich Herrn Mies voll an. Nach "1984" steuern wir voll auf 2084 zu... es kann nur schlimmer werden!

    Kleine Anmerkung: Was blüht den Inline-Skatern auf Bürgersteigen? :-)

  • B
    badcurtain

    Würde dieses System hier eingeführt, ich glaube, ich würde ein paar Freunde zusammentrommeln und gemeinsam mit ihnen Herumlungern, langsam Autofahren, etc., alles gleichzeitig, so lange, wie dies nötig wäre.

  • UF
    Ullrich F.J. Mies

    In Europa zieht längst ein Freiheit tötendes Regime auf, das sich hinter dem Mantel der "Sicherheit" oder dem "Kampf gegen den Terror" verbirgt. Diese beiden Rechtfertigungsschablonen sind lediglich der Vorwand zur Gewinnung der totalen Kontrolle. Großbritannien ist hier lediglich der Vorreiter.

     

    Eine neue Form schleichend-faschistischer Herrschaft gewinnt zunehmend an Konturen. Der Unterschied zu früheren Zeiten ist die unterschiedliche Art und Weise ihrer Formierung: Ausbau des Kontroll- und Überwachungsstaates, verdeckte Polizeistrukturen, Möglichkeit des Einsatzes des Militärs im Innern, Beistandspflicht/ -vereinbarungen zwischen den EU-Ländern bei Aufständen (so vorgesehen im so genannten Lissabon-Vertrag) etc.

     

    Die "breite Bevölkerung" hat von dieser Art "neuer Sicherheitsarchitektur" nichts zu befürchten. Sie sitzt apolitisch im Sofa und schaut Tittitainment. Die "breite Bevölkerung" hatte auch im Nationalsozialismus nichts zu befürchten - sie schaute weg oder machte eifrig mit. Nachher wußte sie von nichts. Die "breite Bevölkerung" ist eine Schafsherde, die nie irgendetwas verstehen wird.

  • IN
    Ihr Name

    lieber ständig übermüdet als ständig überwacht

  • L
    Leser

    Um nicht unter Terrorismusverdacht zu kommen, bitten wir sie den öffentlichen Raum zügig zu durchschreiten und Blick- und Körperkontakt sowie Kommunikation, verdächtige Handbewegungen, Nahrungsaufnahme und aprupte oder übermäßig langsame Bewegungen unterlassen. Diese Maßnahme dient ihrer eigenen Sicherheit und der Bewahrung unserer freiheitlichen, westlichen Gesellschaft vor Gewalt, Extremismus und Gleichschaltung.

  • BW
    Bürger W.

    Liebe Taz-Redaktion, Liebe (Mit-)Leser,

     

    Um mich des Ausspruchs auf einem amerikanischen anti-Bush Sticker zu befleißigen:

    "It's not fascism when we do it!"

     

    Leider, leider scheint der wie der BSE-Virus grasierende Sicherheitswahn so umfassend die Gehirne der Bürger und Entscheider infiziert zu haben, das die auch noch so orwellsche Maßnahme zur "Sicherheit" mit frenetischer Begeisterung aufgenommen wird. Von Widerstand mal ganz zu schweigen.

     

    Scheinbar wollen 1 Menge Leute lieber unfrei und unselbstständig in einem total kontrollierten Überwachungsstaat leben. Das auch der Terror des Nationalsozialismus in Deutschland mit dem "Argument" "...wer nichts zu verbergen hat der muss sich auch nicht fürchten..." und so blabla, seine Untaten vorbereitete bzw. "argumentativ" stützte.

     

    Von der Fülle von rational-logischen Argumenten gegen diesen Sicherheitswahn hier nur einige Spitzen:

    Wollen wir (bei entsprechend komplexen "intelligenten" Systemen) unsere Kontrolle fehlerhaften Computerprogrammen überlassen? (dann doch lieber "menschlicher Faktor).

     

    Wer entscheidet was gefährliches und was harmloses Verhalten ist? Ist unsere Privatsphäre in der Öffentlichkeit nicht zerstört wenn unser Verhalten flächendeckend ausge- und bewertet wird? Wer oder was kontrolliert den Kontrollapparat?

    Usw. und so fort.

     

    Und zwei Dinge sind sicherlich klar: Erstens, das nur die Selbstverantwortung freier Bürger, die sich ihrer Würde als Menschen und des Respekts ihrer Gemeinschaft bewußt sind, die Sicherheit schaffen kann, die all diese Maßnahmen nur simulieren und letztendlich untergraben!

     

    Und Zweitens, das diese Maßnahmen im Ganzen es bösmeinenden Kräften, die sich gegen Freiheit und und demokratischem Rechtsstaat, Gleichheit und Würde der Menschen verschworen haben, wesentlich erleichtert so Sie die Chance haebn, ihre üblen Machenschaften umzusetzen.

    Drum seit wachsam und wehrt euch!

     

    "Viva la Libertad!

     

    Ihr Bürger W.