Britische Künstler über bin Ladens Villa: "Mitleid erregend in ihrer Banalität"
Das Künstler-Duo Langlands & Bell hat nie daran geglaubt, dass bin Laden in einer Höhle entdeckt werden würde. Sie selbst haben ein früheres Wohngebäude des Terroristen computeranimert.
taz: Nikki Bell und Ben Langlands, das Haus Osama Bin Ladens in Abottabad ist doch das völlige Gegenteil von dem, was man sich unter einer Kommandozentrale des Bösen so vorstellt. Entspricht sein Anwesen am Ende viel eher einer Typologie terroristischer Architektur?
Nikki Bell und Ben Langlands: Wir glauben nicht, dass es so etwas überhaupt gibt. Mao Tse-tungs Richtlinie für Aufständische war es, "sich unter der Bevölkerung wie ein Fisch im Wasser zu bewegen". Und bin Ladens Situation in Abbotabad entspricht diesem Prinzip.
Was verrät das Design von bin Ladens Haus über seinen Bewohner?
Ben Langlands (geb. 1955) und Nikki Bell (geb. 1959), ein britisches Künstler-Duo aus London, arbeiten seit 1978 zusammen. Seit den frühen 80er Jahren werden ihre Werke international ausgestellt. Ihr Oeuvre umfasst Videos, Filme, digitale Medienprojekte, aberl auch Installationen und Architekturen. Sie erkunden gebaute Strukturen und die sozialen Netzwerke, die sie durchdringen und miteinander verbinden. Für "House of Osama bin Laden", Teil einer Videotrilogie zum Thema Afghanistankrieg und 11. September gewannen sie den BAFTA Awards der britischen Film- und Fernsehakademie und waren auch für den Turner-Preis nominiert.
Nach Außen ist dieser Typ von Gebäude nichts Ungewöhnliches. Es macht den Eindruck eines typischen Wohnsitzes für eine Geschäftsperson, oder für eine ziemlich wohlhabende Mittelklassefamilie in Pakistan.
Und die Innenräume?
Die Innenräume und der Hausrat allerdings scheinen auf eine nur vorübergehende Inbesitznahme hinzudeuten. Die Möbel und die improvisierten Einbauten machen einen einfachen, in ihrer Banalität sogar Mitleid erregenden Eindruck.
2002 wurden Sie beide vom Imperial War Museum in London mit einer künstlerischen Recherche in Afghanistan beauftragt. Als Betrachtungsgegenstand ihrer Arbeit wählten Sie ausgerechnet ein Gebäude, in dem Osama bin Ladens in den 90er Jahren wohnte – bevor er der meist gesuchte Terrorist des Planeten wurde. Was war der Grund?
Unsere Arbeit "The House of Osama bin Laden" erkundet, wie Belege für die Identität oder Präsenz einer Person nach ihrem Fortgang an einem Ort entdeckt und preisgegeben oder im Kopf des Betrachters projiziert werden. Nach dem 11. September hatte Osama bin Laden einen quasi mythischen Status erlangt. Während der Arbeit stellten sich uns die Fragen: War er am Leben oder doch tot? Wo versteckte er sich? Oder: Wo befanden sich seine sterblichen Überreste? Würden wir ihn überhaupt erkennen, wenn er irgendwo auftauchen würde? Während das verlassene Haus in Daruntah von seiner Abwesenheit zeugt, wurde es durch die Kunst zu einer Art Metapher für die schwer zu fassende Präsenz, die bin Landen durch die Tatsache seiner Abwesenheit beibehielt.
Waren Sie überrascht, dass die US-Spezialkräfte bin Laden ausgerechnet in Abbottabad aufgespürt haben?
Nein, nicht wirklich. Wir nahmen an, dass er sich irgendwo in Pakistan aufhalten würde. Und fanden die Idee, dass er in einer Höhle haust, immer unwahrscheinlich. Rückblickend ist es für ihn wohl sehr sinnvoll gewesen, in Abottabad gelebt zu haben, einer Garnisonsstadt. Und vermutlich unterhielt er Kontakt mit bestimmten Leuten innerhalb des pakistanischen Geheimdienstes und des militärischen Establishments. Abottabad ist auch näher an den Stammesregionen, wo es mehr Unterstützung für ihn gab als zum Beispiel in Karachi oder Lahore.
Besaß sein früheres Haus im afghanischen Daruntah eine höhere Qualität als das in Abottabad?
In ihrer Einfachheit ähneln sich die Innenräume der beiden Häuser auffallend. Und einige der Möbel an beiden Orten sind sogar identisch. Dennoch, das Haus in Daruntah ist schlichter. Es ist ein Farmhaus mit einer angrenzenden kleinen Moschee und einem bombensicheren Schutzstand oder Bunker mit Wänden aus gestapelten Munitionskisten, gefüllt mit Erde und Gestein und überdacht mit einem wieder verwendeten Lastwagenfahrgestell.
Der im Netz veröffentlichte Ausschitt aus Ihrer interaktiven Computeranimation macht den Eindruck eines Computer-Kriegsspiels, nur ohne Spielfiguren.
Wir haben uns aus verschiedenen Gründen für dieses Format entschieden: Die selben Technologien werden vom Militär zum Zweck der Datensammlung, des Trainings oder der Zielausrichtung von Raketen und Drohnen verwendet. Und auch die Kriegserfahrung der meisten Menschen wird heutzutage sehr stark durch die Informations- und Unterhaltungsmedien vermittelt. Die Menschen schauen sich Krieg auf dem Bildschirm an – weit entfernt vom physischen und mentalen Leiden, der Langeweile, dem Schmutz, der Angst und des Elends. So wird Krieg zu einer weiteren "Konsumenten"-Erfahrung. Auch Osama bin Laden war für die meisten Menschen nur eine mediale Figur. Er hat und hatte eine Form von Promi-Status, weil er überall und nirgendwo zur gleichen Zeit war. Die Allgegenwart dieser neuen Medienrealität wird für uns noch weiter verstärkt dadurch, dass Obama oder zumindest die Kommandoleitung in den USA die Tötungsoperation in Echtzeit über eine Kamera auf dem Helm eines der Soldaten mitverfolgte.
Der bin Laden Besitz in Abottabad dient nun als virtuelles Schlachtfeld für die Spieler von "Counterstrike", seit der amerikanische Spieleentwickler Matthew Fletcher eine entsprechende Software-Karte dafür entwickelt hat. Macht er da konsequenterweise weiter, wo Sie mit dem "House of Osama bin Laden" aufgehört haben?
Unsere Installation soll kein Spiel sein. Wir entfernten die üblichen Objekte, so dass der Betrachter oder Teilnehmer dazu gezwungen wird, die Situation neu zu beurteilen. In unserem Spiel gibt es keine Waffen. Das Adrenalin und die Aggression haben wir herausgenommen.
Steve Rose vom Guardian nimmt an, dass bin Laden in seinem Herzen ein frustrierter Architekt war, der seine Ambitionen in globalen Terror verwandelte. Mit der Zerstörung des World Trade Center habe er eine Form der extremen Architekturkritik ausgeübt.
Bin Ladens Zerstörung der WTC-Zwillingstürme war eine Form politischer und sozialer Kritik – und eine Form von Bildersturm. Eine obszöne Geste der Rebellion gegen die herrschende Weltordnung. Es war ein extrem brutaler Akt politischen Theaters – viel mehr als nur eine architektonische Kritik. Sozial und politisch gesehen, ist Architektur eine der greifbarsten Aufzeichnungen davon, wie wir leben. Unsere Gebäude tendieren dazu, unsere Intentionen, unsere Hoffnungen und Ängste einzukapseln, während sie zugleich den beharrlichen menschlichen Willen, die Ereignisse vorherzubestimmen, reflektieren. Das ist offensichtlich, ob wir nun die monumentalen Gebäude der Twin Tower in New York oder das schlichte Gebäudeensemble, das von bin Laden in Daruntah bewohnt wurde, betrachten. In beiden können wir eine Sprache sozialer und politischer Intentionen erkennen. Bin Laden wusste dies. Deshalb zerstörte er das World Trade Center.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?