: Brisant
■ betr.: „Ein Preis der Kategorie Mann“, taz vom 9./10. 8. 97
So oft könnte ich die taz gar nicht abonnieren, wie ich sie aus Protest wieder abbestellen möchte. Kentler faßt seine Gutachtertätigkeit in Mißbrauchsprozessen mit den Worten zusammen: „Ich habe schreckliche Fälle kennengelernt und bin sehr stolz darauf, daß bisher alle Fälle, in denen ich tätig geworden bin, mit Einstellungen der Verfahren oder sogar Freisprüchen für die Eltern beendet worden sind.“ Die taz stellt zum wiederholten Male einem Verharmloser sexueller Gewalt ihre Seiten zur Verfügung. Die von Kentler beschriebene krude Mischung aus Rechtfertigung mißbrauchsunterstützender Thesen, Feministinnenhetze und einem Aufruf zu mehr Männerbündelei gegen diejenigen, die sich parteiisch auf Seiten der Überlebenden sexueller Gewalt stellen, [...] kotzt mich langsam an. Torsten Joel, Lübeck
In Fragen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen erlebe ich die taz bislang als wenig sensibel, wenig aufgeklärt und unzureichend politisch engagiert. Es scheint hier sowohl ein klares Unrechtsbewußtsein zu fehlen als auch die Einsicht, daß Geschlechtergewalt keine pikante Privatsache, sondern hochpolitisch und leider viel zu weit verbreitet ist, als daß sie derart salopp abgetan werden darf. Seit einem Jahr habe ich nun die taz abonniert und noch keinen einzigen guten Artikel über Gewalt gegen Frauen und Mädchen gelesen. Im Gegenteil: Die taz-Berichterstattung tendierte immer wieder dazu, engagierte feministische Antigewaltarbeit in diesem Bereich zu verunglimpfen, Gewalt gegen Frauen gegebenenfalls zu verharmlosen und zu entpolitisieren. [...] Nur ungern erinnere ich mich an das allzu freudige und erleichterte Aufatmen der taz- Kommentatoren, als der Brandanschlag auf eine türkische Familie, bei dem mehrere Frauen starben, sich als nicht rassistisch, sondern lediglich sexistisch motiviert entpuppte – der Vater und Ehegatte habe, heißt es, seine Frau daran hindern wollen, sich scheiden zu lassen. Kein Wort des Bedauerns mehr über die Tat und die Opfer, keine kritische Stellungnahme zur politischen Relevanz dieser Morde. Und das, obwohl täglich männliche Beziehungspartner und Väter massive Gewalt gegen Frauen und Kinder ausüben, unter anderem, um Macht zu erlangen oder bestehende Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten.
Konnte man das allerdings noch mit viel gutem Willen einem mangelnden politischen Bewußtsein zuordnen, so handelt es sich in dem Beitrag „Ein Preis in der Kategorie Mann“ um Journalismus der übelsten Sorte, und ich frage mich, wie ihr so etwas Einseitiges euren LeserInnen antun könnt. Da erhält einer den „Magnus-Hirschfeld- Emanzipationspreis“ in letzter Minute nicht mehr, weil die Jury Informationen hat, die den Preisträger als nicht würdig für diesen Preis darstellen. Hintergrund ist, daß der potentielle Preisträger in bezug auf den sexuellen Mißbrauch von Mädchen und Jungen nicht gerade opferfreundlich zu sein scheint und eher für den Schutz der Täter eintritt – was übrigens auch in seinen eigenen Ausführungen in dem Artikel recht gut durchscheint. Eigentlich ein durchaus angemessener Grund, von der Preisverleihung abzusehen, mindestens jedoch ein Punkt, der es wert ist, im Vorfeld der Vergabe eines „Emanzipationspreises“ geprüft zu werden, oder?
Und was macht die taz? Sie läßt einfach den potentiellen Preisträger Helmut Kentler ganzseitig die Sache aus seiner Sicht darstellen. Keine eigenen kritischen Nachrecherchen durch die taz, keine O-Töne der Jury-Mitglieder, kein Versuch, die erforderlichen Informationen für eine angemessene Beurteilung der Sache aus verschiedenen Quellen zusammenzutragen. Statt dessen: Kentlers Meinung über Emma, die Jury und die feministische Arbeit von „Zartbitter“ und „Wildwasser; in der taz erhält er den Raum, feministische Antigewaltarbeit und feministische Kritik in aller Breite niederzumachen. Warum eigentlich? Kohl kriegt doch auch nicht eine ganze Seite, um über die Opposition zu wettern. Und wenn ich zu Unrecht als die größte Männerfreundin aller Zeiten ausgezeichnet werden würde, wäre es ebenfalls sinnvoll, als kritische Zeitung die Sache noch mal überprüfen und nicht einfach nur mich dazu Stellung nehmen zu lassen.
[...]Eins steht für mich fest: Wenn die taz es bei diesem Artikel tatsächlich beläßt und hier ein weiteres Mal auf eine kritische und engagierte Berichterstattung verzichtet, kündige ich in zwei Wochen mein taz-Abo. Das Thema der körperlichen Gewalt gegen Frauen und Mädchen betrifft mich zu sehr und ist politisch zu wichtig, als daß ich so eine Haltung und Herangehensweise meiner Tageszeitung weiterhin akzeptieren kann. Monika Schröttle, München
Ein Gutachter, der „sehr stolz darauf ist“, daß bisher alle Fälle von sexuellem Mißbrauch, in denen er tätig geworden ist, „mit Einstellungen der Verfahren oder sogar Freisprüchen für die Eltern beendet worden sind“, läßt keinen Zweifel daran, daß der eine pädophilenfreundliche Position vertritt. Er unterscheidet nicht zwischen freiwilligen sexuellen Beziehungen männlicher Jugendlicher zu erwachsenen Männern, wie dies wohl auch in der von zitierten „gründlichen Langzeitstudie in den USA“ so der Fall gewesen war, einerseits, und sexuellen Handlungen Erwachsener an von ihnen finanziell und/oder emotional abhängigen „Schutzbefohlenen“ oder anderen Kindern und Jugendlichen, also per definitionem sexuellem Mißbrauch, andererseits.
Ohne Zweifel sind Kinder durch Bestrafung, Belohnung und anderweitiger Druckausübung durch deren Eltern beeinflußbar. Das sind Erwachsene auch. Bestrafung, Belohnung, Druckausübung wird in den Gefängnissen zahlreicher Staaten praktiziert, um Falschaussagen, Geständnisse zu erpressen. Der Autor scheint Kinderaussagen jedoch generell für unglaubwürdig zu halten. Ein Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Opferaussagen bedeutet für die Opfer sexuellen Mißbrauchs eine erneute Traumatisierung. Kinder, die nicht derartig manipuliert wurden, machen keine Falschaussagen in Mißbrauchsprozessen. In den zitierten Prozessen kam es aufgrund von wiederholter (teilweise mehr als achtmaliger Befragung zum selben Sachverhalt) Befragung der Kinder durch ihre Eltern, aufgrund von Bestrafung (das betroffene Kind durfte nicht eher ins Bett, bevor es nicht sagte, daß etwas vorgefallen sei und was) und aufgrund von Belohnung (dem Kind wurde ein Spielzeug gekauft, daß es sich schon lange gewünscht hatte) zu den Falschaussagen.
Davon abgesehen ist im Wormser Prozeß vom Richter eingeräumt worden, daß möglicherweise einzelne Kinder tatsächlich Opfer von sexuellem Mißbrauch geworden sind, dies konnte aber nicht eindeutig nachgewiesen werden. Es handelt sich also hier um einen Freispruch aus Mangel an Beweisen.
Kentler ist einer der Leute, die sich in den letzten Jahren zu Wort meldeten, um die vergleichsweise geringe Anzahl der Irrtumsfälle als Anlaß dafür zu nehmen, die Glaubwürdigkeit von Kindern generell als niedrig darzustellen und die jahrelange Aufklärungsarbeit zum Thema sexueller Mißbrauch, die von sogenannten Feministinnen geleistet wurde, zunichte machen.
Wenn man die Anzahl der Irrtumsfälle vergleicht mit der Anzahl der nicht angezeigten Fälle – die Dunkelziffer ist laut Berliner Polizeistatistik viermal so hoch wie die Anzahl der angezeigten Fälle, d. h. auf jeden registrierten Fall kommen vier geheim gehaltene Fälle, in anderen Worten: Die tatsächliche Anzahl der Fälle von sexuellem Mißbrauch ist viermal so hoch wie die offizielle Statistik – muß klar werden, daß das Wohl der Kinder vor Berufung auf eine niedrige Irrtumswahrscheinlichkeit geht. Sexueller Mißbrauch ist ein Schwerverbrechen, von dem Opfer lebenslange Folgen davontragen. Sillaro, Berlin
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