Brillengläser, Nase, spitzer Mund

Beatle als Medienguerillero: Die Kunsthalle Bremen zeigt den Pop- und Konzept-Künstler John Lennon  ■ Von Thomas Mense

Der Lennon im Museum hat mit Musik nur wenig zu tun. Davon konnte sich zumindest die deutsche Musikjournaille bei der Pressekonferenz mit Yoko Ono in der Bremer Kunsthalle überzeugen. Immerhin war sie nach Bremen gekommen, um die erste repräsentative Ausstellung zu eröffnen, die den ganzen John Lennon vorstellt: den Zeichner, Literaten, Musiker, Aktionskünstler, Filmemacher und Schauspieler.

Doch der Anlaß dieses Zusammentreffens von Pop und Kunst blieb davon erst mal unberührt. Eine halbe Stunde lang wurde die schon zu seinen Lebzeiten nicht sehr geliebte Ono zur Popgeschichte im Jahre 15 nach John Lennon abgefragt. Ob sie demnächst eine CD-Box mit Lennons Solowerken herausgebe (sie wird); was mit der Beatles-Anthologie sei, an der George, Paul und Ringo arbeiten (eine diplomatische Antwort); und ob es stimme, daß ihr 19jähriger Sohn Sean eine CD aufnehme, die Lenny Kravitz produziere (es stimmt).

Mit bewundernswertem Gleichmut beantwortete Yoko die Fragen, bis dann endlich die Sprache auf die Ausstellung kam. John Lennon, der Popstar und Politaktivist, nun also endlich musealisiert vom bürgerlichen Kunstbetrieb, aufbereitet für einen familienfreundlichen Museumsbesuch, der alle Generationen vereint, eingelullt vom kitschigen „Imagine“? Gottlob ist es nicht so gekommen, obwohl die Ausstellungsmacher auf den Museumsbesuch der Familie spekulieren und vorsichtshalber drei überaus freie Lithographien Lennons aus der legendären, 1970 als pornographisch beschlagnahmten „Bag One“-Serie nur im Katalog dokumentieren.

John Lennon als Zeichner: die Fluxus-Künstlerin Yoko Ono entdeckte ihn, als sie 1966 zufällig in einem Buchladen auf die Zeichnungen in seinen Büchern stieß. Für den Bremer Kunsthallendirektor Wulf Herzogenrath sind sie ohne Frage „künstlerische Meisterwerke im Zwischenfeld der freien Zeichnung, der Karikatur und der Illustration“, verwandt mit Arbeiten von Tomi Ungerer, Roland Topor und dem Meister des amerikanischen Cartoons, Saul Steinberg.

In der Kunsthalle Bremen ist ein repräsentativer Querschnitt vertreten. Von den Schülerzeichnungen, die das Cover der Lennon-LP „Walls and Bridges“ 1974 zierten, über Arbeiten aus der Zeit am Liverpool College of Art bis hin zu Werken aus den sechziger und späten siebziger Jahren. Als Zeichner blieb Lennon ein Außenseiter, der sich seinen unverwechselbaren Stil bewahren konnte. „John zeichnete intuitiv und schnell, genauso wie er seine Songs komponierte“, schreibt Yoko Ono in ihrem minimalistischen Katalog-Vorwort und gibt damit den entscheidenden Hinweis für Popliebhaber. So wie Lennon es in seinen Songs mit nahezu traumhafter Leichtigkeit schaffte, die oft introvertierte, eigene Stimmung für ein Millionenpublikum vermittelbar zu machen, so bringen die Zeichnungen ebenfalls den originären Lennonschen Blick, seinen Witz, die Ironie und die Selbstironie auf den Punkt.

Alles Überflüssige ist ausgespart. Lennon hatte ein sicheres Gespür für die Komposition. Es ist kein Wunder, daß dieser Meister reduzierter Pointen im Japan der siebziger Jahre die Kalligraphie entdeckte und sich aus seinen Zeichnungen so etwas wie „Zen Cartoons“ oder „Zen Comics“ entwickelten, zumal er schon immer die Zeichnungen mit kurzen Texten kombinierte. In Bremen wird erstmals das „japanische Wörterbuch“ gezeigt, ein 1977 entstandener Zyklus von über hundert Blättern, in denen er die gerade gelernten japanischen Worte und Begriffe zeichnerisch umsetzte. So gibt es als Einstieg etwa das minimalistische Selbstporträt „Jibun“, auf japanisch heißt es „Ich“ – vier Striche (Brillengläser, Nase und Mund) machen den ganzen John Lennon aus.

Ein Ausstellungsraum inszeniert das Bed-In im Amsterdamer Hilton nach, als John und Yoko ihre „Flitterwochen“ vor den Augen der Weltöffentlichkeit verbrachten. Sieben Tage blieben sie im März 1969 im Bett, luden die Weltpresse dazu ein und nutzten das globale Medienspektakel als Performance, als Demonstration für den Weltfrieden. Sinnigerweise ist ein großer Fernseher in Bremen auf dem Bett plaziert, auf dem der Dokumentarfilm über die Aktion läuft. John und Yoko Ono als Medienguerilla: Da rettet ein weltbekanntes Paar seine Intimität und Integrität, indem es die Flucht nach vorn antritt und das scheinbar Privateste in einer genau kalkulierten künstlerischen Aktion enthüllt und gleichzeitig verhüllt.

Politik im Wechsel mit Selbsterfahrung, ob als Zeichner, Literat, Aktionskünstler, Regisseur oder Musiker und Songtexter – wie ein roter Faden zieht sich dieses Anliegen durch seine Arbeit. Die Ausstellung in der Kunsthalle Bremen dokumentiert den künstlerischen Bogen, der gleichzeitg Pop, populär und sperrig war, als durchaus clever inszenierten Medienaktionismus, an dem die Fluxuskünstlerin Yoko Ono entscheidenden Anteil hatte. Auf verschiedenen Ebenen, in den verschiedenen Medien wird das Thema durchgespielt: in den Experimentalfilmen (zu sehen in der Ausstellung), in der Emanzipation des Plattencovers zum (Fluxus-)Kunstobjekt und der (Pop-)Musik zum dokumentarischen, fortlaufenden Kommentar ihres Lebens- und Kunstkonzepts und auch in den verschiedenen Happenings, wie zum Beispiel der legendären Plakataktion „War is over“ von 1969 in zwölf Städten der Welt. Es war ein Crossover von Kunst und Politik mit den Mitteln der Werbung, das es in diesem Umfang bis dahin nicht gegeben hatte: Pop-Politik mit einem – in Zeiten von Vietnam – paradoxen, keinesfalls aber naiven Slogan, dessen utopische Botschaft sich gerade wegen der unmittelbaren Einsichtigkeit über Jahrzehnte hielt und zuletzt auch im Ostblock vernommen wurde. Dort ist die Parole genau 20 Jahre später wieder aufgetaucht – als Graffito-Schrift im Prag der „samtenen Revolution“. Auf einem Bauzaun am Wenzelsplatz stand im Dezember 1989 „War is over – Czechs are free“. Einer der tschechischen Dissidentenzirkel hieß damals „Die John-Lennon-Freunde“.

„Original John Lennon (Zeichnungen, Performance, Film)“. Bis 13.8., Kunsthalle Bremen.

Heute läuft auf arte um 19.30 Uhr der Film „Strichweise Lennon“ von Nigel Withacker, der den Zeichner Lennon vorstellt.