Briefe an den Präsidenten (3) : Am Ende sind weder Augen noch Zähne übrig
Am 2.11. ist Präsidentschaftswahl in den USA. Bush oder Kerry? Für viele US-amerikanische Künstler ist diese Frage zur Schicksalsfrage geworden. Das Junge Theater in der Schwankhalle wird vom 27.10. bis zum 3.11. unter dem Titel „mad(e) in Amerika“ amerikanische und deutsche Künstler präsentieren, die sich mit Politik und Kultur in den USA beschäftigen. Vorab haben wir Menschen aus Kultur und Wirtschaft gebeten, an den amtierenden, zukünftigen oder idealen US-Präsidenten einen Brief zu schreiben. Heute: Peter Schulze, ehemals musikalischer Leiter von Radio Bremen 2, jetzt künstlerischer Leiter des JazzFest Berlin.
Dear Mr. President,
Ihnen gebührt das fragwürdige Verdienst, so etwas wie einen längst überwunden geglaubten Religionskrieg wieder eingeführt zu haben – und zwar global. Klar, nachdem der Sozialismus wirtschaftlich zu besiegt war, musste ein neues Feindbild her. Ihre christliche Erweckung aus dem Alkohol kam da gerade recht.
Wann immer geistiges Sendungsbewusstsein weltlich wird, sind Zerstörung und Leiden die Folge. Das war schon mit dem Nationalsozialismus so, den Ihr Großvater Prescott Bush so großzügig mitfinanzierte. Demokratie und Laizismus sollten die allzu große Nähe geistlicher und weltlicher Herrschaft verhindern. Das ist Ihre Stärke und das hat ja auch lange Zeit funktioniert. Aber im Verein mit Scharon haben Sie es nun geschafft, jede Vernunft auszuhebeln und die Welt an den Abgrund zu führen. Mittelalter der Neuzeit. Auge um Auge, Zahn um Zahn ist immer ein blödsinniges Motto, denn das heißt eben in der Konsequenz: am Ende sind weder Augen noch Zähne übrig.
Khomeini schrieb einst an Gorbatschow, dass der Islam dem Kommunismus allein schon deshalb überlegen sei, weil er den Menschen eine Perspektive für das Leben nach dem Tode anbiete. Praeter propter gilt das, wie Sie sehen, auch für den Kapitalismus, und für Ihr schwer bewaffnetes Kreuzzugs-Christentum allemal. Wenn ein texanischer Frosch den globalen Adler gibt, wird der Blick nicht weit sondern eng. Khomeinis Drohung ist mit furchtlosen Selbstmordattentätern furchtbare Wirklichkeit geworden.
Mit Geld nicht zu bestechen, haben diese Habenichtse es wie einst David mit der Zwille geschafft, den großen Goliath zum Taumeln zu bringen, ausgestattet mit nichts als ihrer Furchtlosigkeit, ein paar Messern und einigen Segnungen der Zivilisation (Flugzeuge, Kerosin, Wolkenkratzer). Und Ihnen fällt nichts besseres ein, als darauf Ihr irakisches Süppchen zu kochen, um damit das Feuer erst richtig anzufachen und die Zahl potenzieller Selbstmordattentäter zu multiplizieren.
Sie selbst bezeichnen die Reichen und Superreichen als Ihre Basis (auch die reiche Familie Bin Laden, da ist Ihnen die Religion dann egal). Ihr Geschäft ist die Angst, von der Sie und Ihre Familie nun schon in vierter Generation global profitieren. Die Armen sollen sich ebenso global die Köpfe einschlagen, damit Ihre Basis daran verdient. Ein Scheißspiel! Ihre Regentschaft, die mit einer Wahllüge begann und mit der Lüge der Massenvernichtungswaffen als Kriegsvorwand fortgesetzt wurde, hatte von Anfang an auch noch ein verlogenes christliches Mäntelchen. Sie sollte dringend beendet werden – ehrlich, findet Ihr
Peter Schulze